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 Mind Time

Wie das Gehirn Bewusstsein produziert


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Gesamt ++++-
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


Jeder, der sich für Gerhard Roths oder Wolf Singers Thesen zum freien Willen interessiert, kommt letztlich nicht an den Experimenten von Benjamin Libet vorbei. In ihrer Argumentation, dass der freie Wille nicht exisitiert, sondern lediglich eine Illusion darstellt, stützen sich Singer & Co. in ganz erheblichem Maße auf die Experimente Libets. Umso schöner ist es, dass Libet sich mit seinem Buch "Mind Time" selbst noch mal zu Wort meldet, seine Experimente zum Bewusstsein zusammenfassend vorstellt und die Ergebnisse im Zusammenhang mit der Debatte um den freien Willen interpretiert.

Libet argumentiert in seinem erstmals 2004 erschienenen Buch, ganz im Gegensatz zu Roth oder Singer, für einen freien Willen. Er beginnt mit seinen Experimenten zum sensorischen Bewusstsein. Diese Experimente zeigen, dass das Gehirn circa 0,5 Sekunden benötigt, um ein Bewusstsein eines sensorischen Reizes hervorzurufen. Da wir aber "Echtzeit" erleben, also beispielsweise eine Berührung der Hand und die Wahrnehmung dieser Berührung zum selben Zeitpunkt erfahren, bedeuten die experimentellen Befunde, dass der gegenwärtig erlebte Augenblick aus einer Rückdatierung resultiert. Diese Rückdatierung macht es möglich, den Reiz von vor 0,5 Sekunden im "Jetzt", also 0,5 Sekunden später, wahrzunehmen, ohne dass man sich dieser Verzögerung bewusst ist. Nach den Ausführungen zur Verzögerung des sensorischen Bewusstseins geht Libet auf unbewusste geistige Funktionen ein. Die meisten Aktivitäten des Gehirns sind unbewusst. Nach Libet ist die Dauer einer entsprechenden Gehirnaktivität ein kritischer Faktor zur Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten geistigen Ereignissen. Das heißt, dass jeder bewussten Erfahrung eine entsprechend lange neuronale Aktivierung vorausgehen muss und dass jedem bewussten Ereignis ein unbewusstes vorausgeht. Das unbewusste geistige Ereignis wird also erst nach einer bestimmten Dauer der neuronalen Aktivität bewusst. Das gilt auch für die Absicht, eine Willenshandlung zu vollziehen. Obwohl man annimmt, man treffe erst die Entscheidung und führe dann die Handlung aus, legen Libets Experimente nahe, dass die Handlungsabsicht erst nach dem Einleiten der entsprechenden Gehirnaktivitäten - zu diesem Zeitpunkt noch unbewusst - bewusst wird. Libet fand eine Komponente, das sogenannte Bereitschaftspotential, die bereits 550 Millisekunden vor dem freien Willensakt beginnt, wobei das Bewusstsein der Handlungsabsicht erst 150 bis 200 Millisekunden vor der Handlung entsteht. Der Willensakt wird also von einer unbewussten Komponente eingeleitet und natürlich stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens. Die offene Tür zur Willensfreiheit nennt Libet "bewusstes Veto". Da die gewollte Handlung zwar unbewusst eingeleitet wird, der Wille sich jedoch noch vor der Ausübung der Handlung zeigt, habe der Mensch die Möglichkeit zu entscheiden, ob die Handlung ausgeführt wird oder nicht. Und tatsächlich konnte Libet zeigen, dass eine geplante Handlung in den letzten 100 bis 200 Millisekunden vor der erwarteten Handlung unterdrückt werden konnte.
Der freie Wille ist nur subjektiv zu erleben. Man selbst ist sich sicher (oder auch nicht), einen freien Willen zu haben. Man geht auch davon aus, dass andere Menschen einen freien Willen haben. Sehen kann man ihn jedoch nicht. Deshalb ist die wohl grundlegendste Frage die, wie aus Materie Geist entsteht. Wie kann aus den physikalischen und biochemischen Aktivitäten der Nervenzellen subjektives Erleben aufkommen? Libet postuliert hier die Existenz eines bewussten mentalen Feldes (BMF), das die Funktion eines Vermittlers zwischen physischen Aktivitäten und subjektivem Erleben hat. Das BMF ist eine emergente Eigenschaft des Gehirns, dabei aber nicht durch physikalische Messungen direkt zu beobachten. Doch postuliert Libet nicht nur das BMF, sondern beschreibt zugleich eine Möglichkeit, das BMF nachzuweisen.

Ist man an der Debatte um Willensfreiheit interessiert, so kommt man um die Lektüre von Benjamin Libets "Mind Time" nicht herum. Anders als andere Wissenschaftler sieht er die Willensfreiheit durch seine Experimente weder verworfen noch bestätigt. Man weiß zu wenig über die Funktionsweise des Gehirns und das Körper-Seele-Problem, als dass man mehr als nur glauben könnte. Libet glaubt an die Willensfreiheit und argumentiert dafür. Da das menschliche Bewusstsein, die Willensfreiheit oder auch das Körper-Seele-Problem lange Zeit ausschließlich in der Philosophie diskutiert wurden, reichen auch seine eigenen Deutungen der experimentellen Befunde weit in die Philosophie hinein. So spricht er Schulen und Strömungen - wie beispielsweise Determinismus, Identitätstheorie oder Dualismus - an und argumentiert dagegen oder dafür und versucht, dem Leser seine eigene Position argumentativ zu vermitteln.
Libets Ziel war es, die Ergebnisse seiner Experimente und deren Implikationen auf weiterführende Fragen einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. So werden Fachwörter meist erklärt, so dass auch Fachfremde und Nicht-Neurowissenschaftler seinen Ausführungen folgen können. Er wiederholt sehr viel. Das ist zum Teil ermüdend, zum Teil aber auch hilfreich beim Verstehen. Recht lang und auch nicht immer leicht zu verstehen sind die Beschreibungen der Experimente.
Doch trotz des gelegentlichen Kämpfens mit einzelnen Passagen lohnt sich die Lektüre des Buches.

Katja Maria Weinl



Taschenbuch | Erschienen: 1. Juli 2007 | ISBN: 9783518294345 | Originaltitel: Mind Time. The Temporal Factor in Consciousness | Preis: 11,00 Euro | 298 Seiten | Sprache: Deutsch

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