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Alkoholismus ist ein verbreitetes Problem, verbreiteter als man denkt. Doch wer dem Alkohol verfällt, kann sich in den meisten Fällen darauf verlassen, gesellschaftlich verachtet zu werden. Alkoholiker sind schließlich nur die Penner vom Bahnhof, alle "anständigen" Menschen haben ihren Alkoholkonsum unter Kontrolle, so denken überraschend viele Leute. Doch Simon Borowiaks Buch will vermitteln, dass es Alkoholiker in allen Gesellschaftsschichten gibt, dass mehr Leute gefährdet sind als man denkt und was Alkohol eigentlich mit dem menschlichen Organismus anstellt.
Das Buch ist in zehn Kapitel gegliedert, die nochmals thematisch unterteilt werden.
In diesen zehn Kapiteln beschäftigt sich Borowiak zunächst mit grundlegenden Fragen: Was macht Alkohol mit dem menschlichen Organismus? Wie verläuft der Absturz vom Schwips - dem Zustand, in dem man so viel Spaß hat und alles toll findet - hin zum Tod auf Grund von Organversagen, weil das Gehirn dicht macht und nichts mehr steuern kann? Was macht einen Hobby-, Amateur- oder Profitrinker aus? Danach widmet sich Borowiak vor allem den Profitrinkern, denen, die ihren Trinkplan nicht mehr einhalten können und ohne Alkohol nicht mehr "funktionieren". Kontrollverlust und überhöhte Alkoholtoleranz sind zwei Kennzeichen des Alkoholikers - der im Buch fast nur als "Profitrinker" bezeichnet wird -, die hier erklärt werden. Dabei unternimmt der Autor interessante Ausflüge rund um den menschlichen Bauplan: Er beschreibt die Auswirkungen, die Alkohol auf manche Rezeptoren hat, und was diese dann wieder dem Gehirn vermitteln, um darzustellen, wie es zum Absturz kommt. Weiter geht es mit Entzug und Entgiftung, zwei sehr unschönen Erlebnissen im Leben eines Alkoholikers, die der Autor selbst mehrmals am eigenen Leib erfahren hat.
So genannte "Feste Posten" wie der Druck, den die Sucht ausübt, den Rückfall, die Angehörigen - hier wird auch auf das Thema der Co-Abhängigkeit eingegangen - gibt es immer in unterschiedlich starker Ausprägung. Wie sich diese Faktoren äußern und aus was sie bestehen, wird ausführlich erklärt. Später als in anderen Büchern kommt die Frage, wodurch Sucht überhaupt ausgelöst wird. Ist sie genetisch veranlagt oder anerzogen oder doch nur psychisch bedingt? Borowiak stellt alle Theorien vor, auch wenn am Ende wohl eine Mischung aus allem verantwortlich ist.
Eine sehr wichtige Station auf dem Weg zur Trockenheit ist die "Krankheitseinsicht". Der Alkoholiker muss feststellen, dass er wirklich ein Problem mit Alkohol hat, aufzwingen kann man keinem diese Erkenntnis. Ein Schritt auf dem Weg zur Heilung ist auch die Feststellung, aus welchen Gründen man eigentlich so viel Alkohol braucht. Wenn diese Gründe gefunden sind, kann man sich über die geeignetsten Behandlungsmethoden Gedanken machen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Dabei wird auch auf die neu erscheinenden chemischen Mittel eingegangen, die das Alkoholverlangen unterdrücken können oder aber eine plötzliche Alkoholunverträglichkeit heraufbeschwören. Doch das Standardmittel ist nach wie vor die Psychotherapie, aber auch hier gibt es verschiedene Methoden und noch wichtiger: verschiedene Therapeuten. Wie man einen findet, der für einen selbst den richtigen Weg anbietet, dafür gibt es leider kein Patentrezept, aber Lösungsansätze werden geboten.
Das letzte Kapitel vor dem Anhang bietet einen kleinen Abriss über verschiedene Therapieformen, Selbsthilfegruppen und dergleichen mehr. Im Anhang findet nochmals das Jellinek-Schema zum Verlauf einer Trinkerkarriere Erwähnung. Auch ein Test-Fragebogen "Sind Sie ein Alkoholiker/Co-Alkoholiker?" findet sich hier.
Titanic-Leser, die beim Autorennamen aufgemerkt haben, können sich bestätigt fühlen: Ja, Simon Borowiak ist Simon Borowiak. Mit diesem Hintergrund erklärt es sich von selbst, dass das vorliegende Buch sehr unterhaltsam geschrieben ist, immer mit genug Selbstironie und dabei auf jede Form der Selbstbeweihräucherung ob dem Suchtausstieg oder Betroffenheit verzichtet. Es wird einfach locker "von der Leber weg" beschrieben, wie aus dem Freund Alkohol der schlimmste Feind wird und wie dieser möglicherweise zu besiegen ist. Dabei wird dem Leser ein Dauergrinsen aufs Gesicht gezeichnet, eben weil der Autor nichts und niemanden, schon gar nicht sich selbst oder die Krankheit Alkoholabhängigkeit, übertrieben ernst nimmt. Doch nicht nur durch Humor punktet das Buch, auch die biologischen Zusammenhänge sind so gut erklärt, dass selbst jeder Nicht-Biologe versteht, welche Zusammenhänge es zwischen den Organen und verschiedenen Botenstoffen gibt. Doch diese Flapsigkeit ist zugleich auch ein Nachteil, wenn so gut wie nie von einem "Alkoholiker" die Rede ist, sondern fast immer vom "Profitrinker". Ein Profi sein, das ist doch im normalen Sprachgebrauch was Gutes, was Erstrebenswertes? Passend dazu werden Wenigtrinker als Hobbytrinker oder Amateure bezeichnet, allerdings wird sich über die Hobbytrinker, die den guten Tropfen loben, lustig gemacht, scheinbar ohne zu bedenken, dass es wirklich Leute gibt, die nur für den Genuss eines guten Weines trinken, ohne den Rausch zu brauchen oder zu wollen.
Nichtsdestotrotz ist dieses Buch unbedingt empfehlenswert, nicht nur für Betroffene oder deren Angehörige, sondern am besten für jeden, der öfter mal die ein oder andere alkoholhaltige Flasche öffnet. Dabei muss man sich gar nicht in der Gefahr befinden, in die Abwärtsspirale der Sucht einzusteigen, denn selbst die Schilderungen, was man nur mit einem kleinen Rausch seinem Körper zumutet, machen nachdenklich.