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Im Pflegeheim Abendrot stehen die Dinge nicht zum Besten. Die Pfleger und Schwestern sind überfordert, es ist zu wenig qualifiziertes Personal da und es fehlt an allen Ecken und Enden am Geld. Dabei ist so viel zu tun. Alle älteren Patienten müssen versorgt, gefüttert, gewaschen und manchmal auch getröstet werden. Trotz der Hektik und Plackerei muss immer noch Zeit sein für ein tröstendes Wort, eine beruhigende Hand, die die Angst vor dem Alleinsein vertreibt und die Furcht vor dem Tod lindern soll. Denn der Tod ist hier überall. Wer einmal hier wohnt, kommt nicht mehr hinaus, ohne dass er getragen wird. Leise entschlafen die einen und bald schon kommt ein anderer Mensch, müde von seinem Leben, auf die Station, um ebenfalls auf den Tod zu warten.
Gerade die Pflegekräfte stehen oft am Ende ihrer Kräfte. Rosalinde ist die Stationsleitung. Ihr obliegt es, die Schichtpläne zu schreiben und die Medikamente auszugeben. Sie ist ständig mit vollem Einsatz dabei, egal ob sie krank ist oder nicht, denn ohne sie ginge bald gar nichts mehr. Insbesondere da Ivy, ein Pfleger, ständig zu spät kommt, weil er nachts unterwegs ist. Sehnsüchtig verzehrt er sich nach seinem Liebsten Fredderik, doch leider ist der ihm ständig untreu. Diese Obsession lässt ihn nicht schlafen und deswegen kommt er ständig zu spät zum Frühdienst, manchmal kommt er auch gar nicht. Ein Glück, dass Lotta neu angefangen hat. Sie ist zwar nur für die Essensausgabe und anfallenden Kleinarbeiten zuständig, doch wenn Not am Mann ist, weil Ivy, der Marlon-Brando-Schönling mal wieder nicht da ist, dann packt sie mit an. So schwer ist es dann auch nicht, alte Menschen zu waschen und anzuziehen. Zwar ist sie nicht so resolut wie Nadjeschda, aber sie hält sich ganz gut. Nadjeschda kennt bei manchen Patienten keine Gnade. Sie lässt nicht zu, dass sie sich selbst aufgeben, wirft sie aus dem Bett, zieht die Vorhänge auf und behält dabei immer ihren mütterlich strengen Ton bei. Ohne sie wäre es wohl noch viel schlimmer auf Station.
Und so schafft das Team es doch jeden Tag, die anstehenden Dinge zu bewältigen. Auch wenn Gianna gegen das Gespenst auf dem Dachboden einen Priester zu Hilfe ruft oder das älteste Sotzbacher-Mädchen allen anderen die Gebisse klaut. Ivy und Lotta finden sogar noch die Zeit, dem Kurtacker eine Nutte zu besorgen, weil der auf seine alten Tage noch einmal eine Muschi sehen will. Natürlich hoffen sie, dass er daraufhin wieder etwas sanfter wird. Und selbst als es eines Tages keine Windeln mehr gibt, weil das Haus kein Geld hat, kriegt das Team noch die Kurve.
Hier wird mit einfachen, sanften Tönen ein Pflegeheim geschildert, wie es wohl in jeder Stadt steht. Die Pfleger sind überfordert, die Stationen sind unterbesetzt und überall fehlt es an Geld. Man fühlt die Verzweiflung der Pflegekräfte mit, die wissen, dass sie nur das Nötigste tun können und dass das längst nicht genug ist. Aufopfernd arbeiten sie sich kaputt, bis auch sie nicht mehr können. Die Patienten sind mit all ihren Macken und Schrullen realistisch gezeichnet, ohne die Situation zu romantisieren. Jedes leise Wort dieses Romans heftet sich fest und überträgt die Traurigkeit der Situation, in der dennoch ein Rest Hoffnung überlebt hat.
Ein sehr ansprechender und trauriger Roman über ein bewegendes Thema. Annegret Held versinkt nicht in Krankenhausskandalen oder führt uns lächerliche, senile Alte vor. Nein, sie schildert die Situation so, wie sie ist, mit Respekt vor dem Zustand der Greise und Achtung vor der Leistung der Pfleger.
Ein schönes, bewegendes Buch. Sehr gute und anspruchsvolle Literatur über ein Thema, das über kurz oder lang jeden von uns angeht.