Der Aufstand der neuen Atheisten (die sich auch "Brights" nennen - Aufgeklärte) geht weiter. Nachdem viele Intellektuelle in den USA und in Europa mehrere Jahre tatenlos zusahen, wie die Religion erstarkte, erheben sie nun wieder die Stimme gegen in ihren Augen fatale Entwicklungen unserer Zeit. Der Fanatismus islamischer Terroristen, die offen bekannte Gottesnähe hochrangiger Politiker, der Feldzug der Kreationisten gegen das Fundament der Evolutionslehre - gegen all dies hilft letztlich nur die Waffe der Vernunft. Männer wie Richard Dawkins, Christopher Hitchens und Daniel Dennett versuchen, mit ihren Büchern die Atheisten aufzurütteln und sie zu ermutigen, sich offen zu ihrer Ablehnung der Religion zu bekennen.

Nachdem bereits Richard Dawkins Werk Der Gotteswahn einen großen Erfolg auf dem deutschen Buchmarkt feierte, legt nun der Journalist Christopher Hitchens seine atheistische Streitschrift vor. Hitchens Botschaft gleich jener des Naturwissenschaftlers Dawkins: der HERR ist kein Hirte, kein verehrungswürdiges Wesen, sondern ein geistiges Konstrukt zur Versklavung des Geistes, und Religion vergiftet alles, was den Menschen über das Tier erhebt - seinen Intellekt, seine Moral, seinen Willen zum Frieden. Wo Dawkins vor allem die naturwissenschaftlichen Belege gegen die Existenz Gottes zusammengetragen hat, betont Hitchens die realen Widersprüche der Religion. Er zeigt, warum sich Moral eben nicht auf die Buchreligionen stützen kann, warum das Neue Testament keineswegs humaner und fortschrittlicher ist als das alte, aus welchen Quellen der Koran abgeschrieben wurde, welche fatale Auswirkungen Religionsausübung auf Kinder hat und wie leicht sich Religion missbrauchen lässt - sei es nun von etablierten Amtskirchen, obskuren Sekten oder fernöstlichen Heilslehren. Hitchens legt den Finger auf die oft so gut versteckten Wunden der Religionen, und sein Tenor ist stets derselbe: Religion vergiftet alles, sie führt zu Kummer, Leid, Hass und psychischen Problemen, die das individuelle Heil, das man eventuell aus religiösen Rituale ableiten kann, niemals aufwiegen kann.

Der Tonfall freilich ist ein anderer als bei Richard Dawkins. Dieser gab sich kämpferisch und verlieh seiner Empörung über die Verlogenheit der Religionsvertreter Ausdruck. Bei Hitchens überwiegt eher das Mitleid mit den Verführten. Auch seinem Buch mangelt es allerdings nicht an Schärfe; es richtet sich klar an den bereits vom Glauben Abgefallenen, der nach Munition für seine Geisteshaltung sucht. Zweifler oder kritische Gläubige, die vor atheistischen Theorien keine Angst haben, werden hingegen von den Tiraden eher verschreckt. Zudem argumentiert Hitchens bei politischen Zusammenhängen sehr blauäugig, schiebt etwa beim Jugoslawienkrieg die Schuld allein der serbischen Seite, beim Nahohstkonflikt vor allem der israelischen Politik zu. Solche Einseitigkeiten und Verkürzungen wollen nicht so recht zu der propagierten aufgeklärten Denkweise passen, die ja gerade nicht feststehende "Wahrheiten" akzeptieren, sondern hinterfragen sollte. Zudem bleibt Hitchens weit stärker an der Oberfläche als seine Kollegen Dawkins und Dennett. "Der Herr ist kein Hirte" will mehr Polemik sein als Positionierung, es sucht den Affront statt die argumentative Auseinandersetzung.

In den USA war Hitchens Werk ein Bestseller. Auch hierzulande dürften sich zahlreiche Leser an dieser kecken Schlagseite gegen heilige Kühe und religiöse Heuchler erfreuen. Im direkten Vergleich mit Richard Dawkins "Gotteswahn" fällt Hitchens Schrift allerdings zu plump aus. Dawkins Buch ist das klügere und in seiner Aggressivität auch brilliantere Werk. Trotzdem: ein wichtiges, streitbares Sachbuch, dessen Stoßrichtung ausdrücklich zu loben ist. Denn der Herr ist kein Hirte.