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Seit Neonazis ihren Vater totgeschlagen haben, träumt die dreizehnjährige Tove von Rache. Sie war noch nicht geboren, als es geschah, meint aber des Öfteren die Stimme ihres Vaters zu hören. Tove will Gerechtigkeit, vor allem da die damalige Haupttäterin inzwischen aus dem Gefängnis entlassen wurde und trotz - oder gerade wegen - ihrer extrem rechtslastigen Ansichten kurz vor dem Einzug in den schwedischen Reichstag steht.
Mit einem Hammer bewaffnet bricht Tove eines Nachts auf, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Doch jemand kommt ihr zuvor. Wer hat es auf das Leben der Politikerin Anneli Tullgren abgesehen? Kommissar Fors steht erneut vor einem schwierigen Fall. Zudem gibt es noch andere Ermittlungsarbeit zu leisten: Achilles Seferis, der Besitzer eines griechischen Restaurants, wurde von Jugendlichen ins Koma geprügelt. Und eine rechtsradikale Untergrundgruppe namens "Nordischer Blutbund" scheint einen terroristischen Anschlag zu planen. Hängen die Fälle zusammen?
Die Themen dieses neuen Romans von Mats Wahl - der vierte der Reihe um den Kriminalkommissar Harald Fors - sind zum einen Rechtsradikalismus und Gewalt, zum anderen und vor allem Rache. Die Handelnden werden alle von Rachegedanken angetrieben: Tove, weil sie nicht zulassen will, dass die Mörderin ihres Vaters ungeschoren davon kommt und Politik machen darf, während er tot ist. Die drei erwachsenen Söhne des Griechen Seferis, die auf der Suche nach den jugendlichen Schlägern zur grausamen Selbstjustiz greifen. Andere rächen sich, weil sie sich in ihren Zielen verraten fühlen. Wer in diesem Buch keine Rache will, der ist vor allem hilflos: Toves Zwillingsschwester Lydia, weil sie an Gott glaubt und nicht an die Macht der Rache. SeferisÂ’ Frau, weil ihr Mann ohne Grund im Koma liegt und wohl nie mehr sprechen wird. Die Mutter eines verwahrlosten Jugendlichen, weil sie ihn nicht in den Griff bekommt.
Es ist einmal wieder extrem düster und deprimierend, was Mats Wahl dem Leser hier erzählt. Vor allem aber ist es wieder einmal ein Stück großartiger Jugendliteratur, das lebensecht geschrieben und erschreckend nah an der aktuellen Realität ist. Die Handlung knüpft an die Geschehnisse aus Wahls ersten Roman der Kommissar-Fors-Reihe ("Der Unsichtbare") an, in dem der sechzehnjährige Hilmer von Rechtsradikalen ermordet wird. Vierzehn Jahre später sinnt nun seine damals noch ungeborene Tochter Tove auf Rache.
Der Leser wird hier vor einige schwierige Fragen gestellt, die auch Kommissar Fors im Buch nicht alle beantworten kann: Ist Selbstjustiz ein legitimer Schritt? Haben Menschen, die etwas Schreckliches getan haben, trotzdem ein Recht auf Leben? Hilft Rache dabei, sich besser zu fühlen? Die Charaktere im Buch jedenfalls glauben es:
"Die Rache bringt seine Stimme nicht wieder zum Klingen. Aber sie kann den Schmerz in meiner Brust lindern", davon ist einer der Söhne von Seferis überzeugt. Und Tove kontert auf Vorwürfe:
"Wenn die Männer, die Hitler umbringen wollten, es geschafft hätten, dann hätten sie also Unrecht getan?". Natürlich ist "Die Rache" kein Buch, das Selbstjustiz rechtfertigt, sondern das Gegenteil. Denn Rache und Selbstjustiz helfen hier nicht weiter, sondern führen stattdessen zu noch mehr Schmerz und Gewalt.
Liest man den Roman von Mats Wahl, so erhält man den Eindruck, dass das Problem mit rechtsradikalen Gruppierungen und Tendenzen in Schweden noch größer sein könnte als in Deutschland. Da reden Polizisten abfällig von "Negern" und werden von ihren Vorgesetzten gedeckt, wenn bei einer Verhaftung eines Ausländers einiges schief läuft. Da erzielen Politiker mit rechtsradikalen Äußerungen große Mehrheiten bei den Wahlumfragen. Ähnlich wie sein "erwachsener" Landsmann, der Autor Henning Mankell, berichtet auch Mats Wahl viel von der Verrohung der Gesellschaft, von der zunehmenden Gewalt. Auch wenn es sich um Jugendliteratur handelt, steht Mats Wahl - einer der beliebtesten und bekanntesten Jugendbuchautoren Schwedens - Mankell in nichts nach an Eindringlichkeit und Handlungsaufbau. Der Vergleich der beiden Schriftsteller ist legitim, denn Mankell hat Wahl bereits gelobt und sogar sprachlich ähneln sich die beiden ein wenig. Auch Mats Wahl beherrscht die Kunst der kühlen, einfachen und klaren Sprache, die so viel eindringlicher ist als jede Ausschmückung. Präzise und mit guter Beobachtungsgabe beschreibt er seine Figuren, die so alltäglich sind, dass man sich als Leser sicher ist, dass solche und ähnliche Leute direkt nebenan wohnen könnten.
"Die Rache" ist ein bedrückendes und brandaktuelles Buch von Rache, Selbstjustiz, Angst und Verführung, das so real geschrieben ist, dass es sich genau so in der eigenen Stadt abspielen könnte. Es handelt sich weniger um einen klassischen Krimi, sondern um eine spannende Gesellschaftsstudie. Für Jugendliche ab dreizehn Jahren unbedingt empfehlenswert!