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 Theoretische und angewandte Semantik

Vom Begriff zum Text


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Semantik ist ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft. Sie untersucht die Bedeutung von Zeichen und Zeichengruppen, also die Bedeutung von Wörtern, Sätzen und Texten. Michael Metzeltin - Professor für romanische Philologie - schreibt hier ein Buch, das in die angewandte Semantik einführt und zugleich Begriffe an die Hand gibt, um Bedeutungen zu analysieren.
Semantik sei - so Metzeltin im ersten Kapitel - die "Grundlage des expliziten Verstehens". Die Betonung muss hier eindeutig auf "Grundlage" liegen, denn Metzeltin sieht in den wissenschaftlichen Begriffen keinen Endzweck, sondern nur ein Fundament, auf dem sich das bewusste Verstehen aufbaut. So schreibt er auch: "Das bewusste, explizite Verständnis von Kommunikaten geschieht wahrscheinlich durch Analyse und Paraphrase." - und auch hier höre man die Einschränkung mit, die in dem "wahrscheinlich" liegt. Da Verständnis zunächst intuitiv geschieht, sich aus dieser Intuition dann aber Begriffe kondensieren, ist die Herkunft des expliziten Verstehens in der Intuition verwurzelt. Auf der anderen Seite aber steht das explizite Verstehen gegen das intuitive, oft nicht nachvollziehbare Verstehen. Es soll aus einer gefühlten, emotionalen Bedeutung eine nachvollziehbare, eine sozial verhandelbare Bedeutung machen. Mit und gegen die Intuition - so könnte man das Problem der wissenschaftlich angewandten Semantik verkürzen. Dieser Zwiespalt wird das ganze Buch heimsuchen. Er sucht jede Semantik heim.
Nach dem einleitenden Kapitel erläutert Metzeltin zunächst die Wortsemantik. Dies geschieht zunächst für das Wort als "einzelnes Phänomen", dann für Wortpaare und ihre semantische Beziehung zueinander: so zum Beispiel als Opposition beziehungsweise Antonymie wie in Nacht/Tag oder in gut/schlecht (Kapitel 2 und 3). Im vierten Kapitel führt Metzeltin eine Analyse an einem sehr ausgesuchten Begriff vor: dem der (politischen) Grenze. Die Bedeutungsvielfalt dieses Begriffs erlaubt es dem Autor, hier sehr verschiedene Einteilungen vorzunehmen und für (und gegen) den alltäglichen, undeutlichen Gebrauch zu sensibilisieren. So ist das vierte Kapitel nicht nur ein gutes Muster für die Analyse von Wortbedeutungen; es weist zugleich deutlich über die Semantik hinaus, in Bereiche der Kulturwissenschaften, der Geschichte und der Politik. Und dies ist ja - nebenbei gesagt - die eigentliche Aufgabe der Semantik, nämlich aufzuklären, wie Bedeutungen das soziale Feld strukturieren.
Das fünfte Kapitel ist dem Satz gewidmet. Sätze können in Propositionen zerlegt werden. Als Propositionen gelten in Sprachphilosophie und Sprachpsychologie zunächst logische oder kognitive Abbildungen von Sätzen: der Satz wird formelhaft umgewandelt. Metzeltin geht hier aber noch einen Schritt weiter und damit über den Satz hinaus. Für ihn bilden Propositionen Konfigurationen zwischen einem Begriff und der gesamten Textbedeutung, also alles, was sich in solchen semantischen, das heißt propositionalen Formeln ausdrücken lässt. Dies ist nicht so einfach zu verstehen. Metzeltin erläutert es - nachdem er die Proposition eingeführt hat - in zahlreichen Beispielen und macht es so verständlich.
Dass dem Satz nur ein Kapitel gewidmet ist, scheint zunächst seltsam, gilt der Satz doch immer noch als wichtiges Element in der Semantik. In der Art wie Metzeltin die Proposition fasst, wird aber rasch verständlich, dass der Satz zwar das Sprechen gliedert, aber logische Bezüge zwischen den Sätzen auch auf einer ganz anderen Ebene bestehen: nämlich auch dort, wo man Begriffe verstehen will. Sie sind nur im Zusammenhang des gesamten Textes zu erschließen und gehen damit über ihre Bedeutung im einzelnen Satz hinaus. So folgt ab dem sechsten Kapitel eine ausführliche Analyse verschiedener Texte und Textsorten. Während die ersten Kapitel sich noch klarer in Theorie und Praxis unterteilen lassen, werden die Deutung und der wissenschaftliche Kommentar hier eng verzahnt. Der Autor stellt rituelle, moralische, beschreibende und erzählende Textmuster in je einzelnen Kapiteln vor. Zwei weitere Kapitel zum Zusammenhalt eines Textes (Textkohäsion) und zum Umspielen/Umspülen eines Themas in einem Text (Textentfaltung) führen noch einmal stärker in theoretische Diskussionen. Die beiden abschließenden Kapitel bleiben dicht an der Praxis. Kafkas Erzählung "Kinder auf der Landstraße" und zwei weitere erzählende Texte werden analysiert ebenso Verfassungen, mit einem Schwerpunkt auf der EU-Verfassung.
An all diesen Beispielen kann man lesen, für wen dieses Buch ist: für alle und jeden. Semantik ist keine Spezialwissenschaft, sondern eine Grundlage alltäglichen Handelns und wenn schon nicht des aufgeklärten Menschen, so des (sich) aufklärenden Menschen. Empfohlen sei dieses Buch also all jenen Menschen nicht, die ihr eigenes Denken für das Maß der Dinge halten.
Alle anderen werden feststellen, dass Semantik eine teilweise recht trockene Wissenschaft sein kann, dass ihr Wert aber eben auch darin liegt, den enormen Bedeutungsnebel sozialer Phänomene zu vertreiben. Dies gilt für Politiker ebenso wie für politisch interessierte Menschen, für Feuilletonisten und Werbekaufleute, für Lehrer und für Autoren. Gerade wer mit Sprache viel umgeht - Autoren zum Beispiel - sollte Werkzeuge zur Hand haben, um seine Texte verständlich zu machen, ihre Bedeutungen immer wieder auf den (möglichen) Leser hin zu untersuchen. Semantik - wie in diesem Buch beschrieben - hilft eindeutig gegen sprachlichen Schluder.
Eine andere Einschränkung gibt es in diesem Buch: Metzeltin ist Romanist. Als solcher bevorzugt er Texte aus der romanischen Kultur. Teilweise sind diese übersetzt, teilweise nicht. Man sollte also gute Sprachkenntnisse in mindestens einer romanischen Sprache mitbringen.
Da Metzeltin über Bedeutung in Texten schreibt, muss man, glaube ich, wenig zu seinem Schreibstil sagen: er ist klar, einfach, deutlich. Wissenschaftlich gesehen, bleibt dieses Buch sehr knapp. Das hat den Vorteil, dass es einen roten Faden bietet und sich deshalb als Einführung sehr gut eignet, andererseits zahlreiche Diskussionen auslässt, also eindeutig eine Einführung bleibt. Der hervorragende Literaturapparat gibt hier aber zahlreiche Weiterführungen an die Hand.

Frederik Weitz



Hardcover | Erschienen: 01. Mai 2007 | ISBN: 9783706903783 | Preis: 27,20 Euro | 304 Seiten | Sprache: Deutsch

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