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Die europäische Verfassung scheiterte 2005 nicht zuletzt daran, dass die Bürger der EU vorwarfen, nicht sozial genug zu sein. Für viele Leute, die damals auf die Straße gingen oder die in den Niederlanden und in Frankreich gegen die Verfassung stimmten, war die EU zu einem unsozialen Monster geworden.
Dass dies aber nicht der Fall ist, versucht Eberhard Eichenhofer mit seinem Buch "Geschichte des Sozialstaats in Europa" zu erklären. Hier soll aufgezeigt werden, dass die Mitgliedsstaaten der EU nicht nur Sozialstaaten waren und immer noch sind, sondern auch im Begriff stehen, ihre sozialen Netze miteinander zu verknüpfen. Nach Ansicht des Autors wird sozialer Schutz und Tarifautonomie weiterhin eine zentrale Bedeutung im vereinigten Europa beibehalten.
Das Buch selbst richtet sich nicht an Experten, sondern an interessierte Menschen, die zwar kein Fachwissen, doch aber einen gewissen Bildungsstand mitbringen sollten. Dass dies auch nötig ist, wird vielleicht nach einem Blick ins Inhaltsverzeichnis deutlich: das Buch gliedert sich auf circa zweihundert Seiten in fünf Teile auf, die jeweils zwischen drei und sechs Unterkapitel haben. Die einzelnen Texte sind allesamt sehr komprimiert und dicht geschrieben, was ein gewisses Vorwissen - oder besser eine solide Allgemeinbildung - voraussetzt, wenn einem von all den Informationen nicht schwindelig werden soll.
Unübersichtlich wird das alles aber nicht, denn das Buch folgt einer strikten und klaren Gliederung.
Teil eins widmet sich in einer historischen Übersicht der "Entstehung des Sozialstaats in Europa", eingeteilt in die Kapitel "Christliche Wurzeln", "Wohlfahrt der Frühen Neuzeit", "Industrialisierung, bürgerliche Gesellschaft und sozialstaatliche Fundierung" und "Sozialstaat - Hervorbringung Europas".
In Teil zwei geht es um den "Sozialstaat und die soziale Frage im Zeitalter des Nationalstaats". Hier wird in den Kapiteln "Britischer Zugang zum Wohlfahrtsstaat", "Nordischer Wohlfahrtsstaat", "Europas Wohlfahrtskorporatismus" und "Drei Welten des Sozialstaats in Europa" gezeigt, wie die modernen Sozialstaaten entstanden sind und welche unterschiedlichen Pfade dahin eingeschlagen wurden.
Im dritten Teil geht es um die "Europäisierung der Sozialpolitik". Gegliedert in die Kapitel "Vision Europa", "Verhaltender Anfang - Koordinierung und Institutionenbildung", "Sozialpolitische Abstützung des Binnenmarktes", "Sozialpolitik in geteilter Zuständigkeit und gemeinsamer Verantwortung" und "Ein europäisches Sozialmodell?" wird erklärt, wie in der EU die Vereinheitlichung sozialstaatlicher Entwicklungen aufgrund der unterschiedlichen Konzepte der Mitgliedsstaaten versucht wird.
Im vierten Teil "Auf dem Weg zum Sozialstaat in Europa werden die verschiedenen Ansatzpunkte und Inhalte der oben genannten Vereinheitlichung der sozialen Standards aufgezeigt. Aufgeteilt in die Kapitel "Europäisches koordiniertes Sozialrecht", "Verfassungsgebung", "Offene Methode der Koordinierung und sozialer Schutz", "Kampf gegen Diskriminierung", "Sozialer Dialog" sowie "Europäisierung sozialer Sicherheit nimmt Gestallt an!".
Der fünfte und letzte Teil widmet sich "Europas sozialpolitischer Zukunft". Die drei Kapitel beschäftigen sich mit den Themen "Herausforderungen an den Sozialstaat", "Aktivierender Wohlfahrtsstaat: Leitbild der EU-Sozialpolitik" und "Sozialpolitisches Zusammenwachsen von EU und Mitgliedstaaten". Dieser Teil soll verdeutlichen, dass gerade die Sozialpolitik der EU neue Wege zeigen und zu gesamteuropäischen Lösungen führen kann.
Abgerundet wird das Buch noch mit einer Schlussbetrachtung, Anmerkungen, einem Literaturverzeichnis und einem Sachregister, die das Abkürzungsregister zu Beginn ergänzen.
Es wird schnell deutlich, dass dies kein kritischer Text ist, der kein gutes Haar an der EU und ihrer Sozialpolitik lässt. Vielmehr ist dieses Buch ein Mittler zwischen den Extrempositionen, die in der EU den eiskalten Marktliberalen oder den bürokratischen Superstaat sehen.
Die starke Unterteilung des Buches macht es sicher leichter, die Inhalte in verdaulichen Häppchen aufzunehmen. Gleichzeitig ist hier vieles stark verdichtet - die Anmerkungen, oder besser Endnoten, hätten also ruhig etwas ausführlicher sein können, um den in der Materie nicht so sehr bewanderten Leser zu unterstützen.
Interessierte Leser, die dieses Buch in die Hand nehmen, um sich selbst eine Meinung über Europas Sozialpolitik bilden wollen, werden den Text an einigen Stellen vielleicht anstrengend finden, "Experten" hätten sicher mehr Hintergrundinformationen gewünscht. Trotzdem ist es ein gelungener Text, der sehr komprimiert seinen Standpunkt vermittelt und sich um Aufklärung in einer hitzigen Diskussion bemüht.