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Jan-Olov Hultin, Chef der A-Gruppe, einer Stockholmer Sonderermittlungsgruppe, geht in Pension. Und seiner Nachfolgerin, Kerstin Holm, bleibt keine Zeit, sich in ihrem neuen Amt zurechtzufinden. Innerhalb kürzester Zeit hat ihre Einheit eine solche Fülle an Mordfällen aufzuklären, dass alles im Chaos zu versinken droht.
Zudem muss sie einige neue Beamte einarbeiten und mit den besonderen Begebenheiten ihrer Spezialeinheit vertraut machen. Außerdem fehlt ihr Paul Hjelm. Der ehemalige Partner ist zu den "Internen" versetzt worden und ermittelt nun in Korruptionsfällen gegen eigene Kollegen.
Nach nur drei Tagen im Amt hat Kerstin Holm den Mord an einem Kurden aufzuklären - dringend tatverdächtig ist seine Schwester -, außerdem den Mord an einer polnischen Krankenschwester, die sich als Todesengel entpuppt, den Mord an einem Fernsehsenderchef, dringend tatverdächtig ein Fernsehkritiker, und den Mord an einem Fotografen, den vermutlich dessen Frau begangen hat. Hinzu kommt wenig später auch noch der Mord an einem moldawischen Schwimmtrainer, dringend tatverdächtig ist eine seiner mitgereisten Schwimmerinnen, die sich als Prostistuierte entpuppt.
Allen Fällen gemeinsam ist die Tatsache, dass der Täter scheinbar feststeht, sich aber entweder nicht an die Tat erinnern kann oder erklärt, unschuldig zu sein. Als auch noch Paul Hjelm auftaucht und Kerstin gesteht, dass er gegen seinen besten Freund Paul Chavez, Mitglied des A-Teams und zur Zeit auf Vaterschaftsurlaub, ermittelt, ist die Konfusion komplett.
Kerstin und Paul fragen sich, ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen diesen seltsam klaren und seltsam unklaren Fällen gibt, finden aber keinen Ansatzpunkt.
Erst ein winziges Detail im Obduktionsbericht des toten Fotografen, dem mit einer Stichsäge ein Schädelstück herausgeschnitten wurde und als Oblate in den Mund gelegt wurde, erweist sich als erste Spur.
Der schwedische Literaturwissenschaftler Jan Arnald, Mitglied des Nobelpreiskomitees für Literatur, der unter dem Pseudonym Arne Dahl seit einigen Jahren äußerst erfolgreich Kriminalromane schreibt, hat mit "Ungeschoren" einen weiteren Roman vorgelegt. Die Reihe besteht mittlerweile aus zehn Krimis, von denen sechs in deutscher Sprache erschienen sind.
Leider ist "Ungeschoren" der bei weitem schlechteste dieser Serie. Und das aus mehreren Gründen.
Erstens verquickt Dahl eine solche Fülle an komplizierten, viele Personen und Ermittlungsschritte umfassende Fälle in diesem Buch, dass es kaum möglich ist, ihnen konzentriert zu folgen. Erschwert wird dies im Falle des Hörbuchs schlicht durch die Tatsache, dass man nicht einen der Dutzenden von Namen nachschlagen oder noch einmal lesen kann; man ist fast hilflos zwischen den permanent wechselnden Schauplätzen dem verworrenen Aufbau der Geschichte ausgeliefert.
Zweitens verbindet Dahl diese Fälle mit ausufernden Schilderungen der Gedanken, Lebensumstände und Aktionen der ermittelnden Polizisten. Dies ist zwar sehr interessant und hervorragend gemacht - immer hat man das Gefühl, realen Personen bei harter Polizeiarbeit über die Schulter zu blicken - aber die Fülle an Informationen erschwert dem Zuhörer zusätzlich den Fällen folgen zu können.
Drittens verbindet Dahl Fälle und Charakterzeichnung mit seinem eigentlichen Anliegen, einer harschen Gesellschaftskritik. Es wird massiv eine moderne Sprachlosigkeit aller Menschen postuliert, eine seelenlose Gesellschaft propagiert, in der nur eine Mordserie als notwendiges Fanal zu einer Rückbesinnung führt. Diese Moral ist unsäglich und in ihrer Härte und scheinbaren Ausweglosigkeit fast peinlich.
Doch neben diesen Makeln, die es erschweren, die Geschichte zu genießen, punktet Dahl ebenso mit seinem außergewöhnlichen Talent, Spannung zu erzeugen und den Zuhörer bewusst zu verwirren. Man wird aufs Glatteis geführt, weigert sich, die Andeutungen wahrzunehmen und wird immer wieder in Erstaunen versetzt, wie geschickt dieser Autor vorgeht. Zum Ende hin, wenn man versteht, wie das Hörbuch aufgebaut ist, wenn man die einzelnen Mordfälle zur Gänze erfasst, kann man nur bewundernd feststellen, dass es Dahl vermocht hat, dies alles in einen logischen Zusammenhang zu stellen. Eine Tatsache, die man während des Hörens einfach nicht für möglich gehalten hat. Am Ende bewundert man die Konstruktion des Krimis und ist begeistert über die Fähigkeit, alle Stränge zusammenzuführen.
Ein weiteres Plus ist der Sprecher Till Hagen. Er vermittelt mit ruhiger Stimme und ohne Pathos die notwendige Sachlichkeit und Tiefe, um dem Fall überhaupt folgen zu können. Seine innere Anteilnahme ist stark zurückgeschraubt und ähnelt eher der eines Chronisten - eine ideale Ausgangsposition für das Verständnis dieses Krimis.
Am Ende fällt das Fazit zwiespältig aus. Ein genialer Autor hat mit Bravour eine solche Menge an Fakten mit Fiktion vermischt, dass es einem Hochachtung abnötigt. Leider verquickt er dies mit übertriebener, fast peinlich abwegiger Moralkritik, die man so nicht hinnehmen kann. Auch kann man den Krimi erst genießen, wenn er beinahe zu seinem Ende gelangt ist und die Konturen sichtbar werden. Die ersten zwei Drittel sind eher schwere Kost.
Für Fans von Arne Dahl ist dieser Fall ein Muss. Wer den Autor nicht kennt, sollte vielleicht mit "Böses Blut" oder "Tiefer Schmerz" beginnen und sich, wenn diese Fälle ihm liegen, an "Ungeschoren" versuchen.