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Arthur Conan Doyles Geschichten über den Privatdetektiv Sherlock Holmes vermitteln uns ein Bild der Verbrechen in London gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts. Inwiefern dieses Bild freilich zutrifft, darüber lässt sich streiten.
Das Hörbuch "Sherlock Holmes & Co." befasst sich mit der wahren kriminalistischen Situation im viktorianischen London. Es umfasst vier Beiträge.
"Mord im East End - Jack the Ripper" porträtiert den spektakulärsten Kriminalfall Londons, der auch heute noch Touristen anzieht, die sich ein wenig gruseln wollen. Sorgfältig hat die Autorin alles an Fakten zusammengetragen, was für den Fall relevant ist und als gesichert gelten kann; ein Rätsel bleibt die Figur des Rippers dennoch.
Der zweite Beitrag, "Metropole der Welt und des Verbrechens - Kriminalität in London", schildert die Funktion und die Situation der Polizei in London zur Zeit des 19. Jahrhunderts, die einer starken Dynamik unterlagen: Von den Bow Street Runners zum New Scotland Yard führt ein weiter und interessanter Weg.
Im dritten Abschnitt wird einem eigenartigen Betrugsfall nachgespürt, der die Schwächen des Polizei- und Rechtssystem im viktorianischen England aufzeigt. Der Sohn der adligen und reichen Familie Tichborne war offensichtlich nahe Südamerika bei einem Schiffbruch ums Leben gekommen, die Mutter klammerte sich jedoch an die Hoffnung, er sei nach Australien gelangt. Das machte sich ein australischer Metzger zunutze, der sich als der junge Tichborne ausgab und von der verzweifelten Mutter als dieser "erkannt" wurde. Aufgrund der eigenartigen Rechtsgrundlagen und der geschickten Einbindung des Falles in politische Stimmungsmache zog sich der Streit mit den wahren Erben - die Mutter starb kurz nach der "Wiederkehr des Sohnes" - über etliche Jahre hin.
Der letzte Beitrag befasst sich mit dem Mythos Sherlock Holmes: mit Arthur Conan Doyles Figur selbst und dem zwiespältigen Verhältnis des Autors zu ihr sowie mit dessen geistigen Erben, die ähnliche Figuren erfanden und damit berühmt wurden.
Diese vier Essays zeigen auf interessante, packende Weise die Entwicklung des Polizeiwesens in England, sowohl ganz allgemein als auch anhand von zwei berühmten Kriminalfällen, nämlich Jack the Ripper und Tichborne. Im Kontrast dazu steht die Kunstfigur des Sherlock Holmes; dass dessen Fälle keineswegs als typische Verbrechen im damaligen England zu verstehen sind, sondern kunstvoll erdachte Geschichten, zeigt sich klar im Vergleich. Dieser führt jedoch zugleich zu der Erkenntnis, dass Verbrechen im viktorianischen London zwar meist derb durchgeführt wurden und nicht scharfsinnig vorausgeplant waren, aber den Hütern von Gesetz und Ordnung durchaus Probleme bereiten konnten. Der Fall Tichborne zeigt, dass eine gut organisierte Polizei dem freiheitlichen Denken der Briten aller Schichten, besonders aber der Oberschicht widersprach, die eher in ihren Kreisen einen Betrüger akzeptieren wollte, als mit polizeilich und gerichtlich durchgesetztem Recht gegen diesen vorzugehen.
Die Rolle von Sherlock Holmes wird freilich trotz des Sachbuchanspruchs dieser Veröffentlichung nicht ins Lächerliche gezogen, ist sie doch als überragendes Erfolgsmodell auch aus literaturgeschichtlicher Sicht von Interesse.
Nicht nur die so spannend wie informativ verfassten Texte machen dieses Hörbuch zu einer kurzweiligen "Lektüre", sondern auch der Vortrag durch den professionellen Sprecher, der es versteht, den Text lebendig, jedoch niemals manieriert wiederzugeben. Mit einer gut gewählten Länge von rund zwanzig Minuten strapazieren die einzelnen Beiträge zudem die Aufmerksamkeit des Hörers nicht, dennoch vermitteln sie eine Fülle an Informationen.
Wer sich für die Geschichte der Polizei und des Verbrechens im viktorianischen England, insbesondere in London, interessiert und wissen möchte, wie viel Wahrheit in Sherlock Holmes steckt, tut sich mit dem Kauf dieses nicht nur inhaltlich, sondern auch aus sprecherischer und technischer Sicht sehr gelungenen Hörbuchs sicher einen Gefallen.