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Der Zweite Weltkrieg ist ein großes Thema in der Literatur, immer wieder erscheinen neue Bücher, die diesen in irgendeiner Weise thematisieren. Meist geht es - zumindest bei den Jugendbüchern - dabei um verfolgte Juden und ihr Schicksal. Doch hin und wieder erscheint ein Buch, dessen Handlung weitab von untergetauchten Menschen und Konzentrationslagern spielt und doch den gleichen Krieg zur Basis hat.
Lena ist glücklich. Natürlich weiß sie, irgendwo in Deutschland ist Krieg, schließlich ist ihr Vater an der Front. Aber das ist in Deutschland, in der so genannten Heimat, die sie nie gesehen hat. Lena ist in Polen aufgewachsen, Wally ist ihr Zuhause, der Hof der Eltern ihre Welt. Dass es darüber hinaus noch so viel mehr gibt, ist schwer vorstellbar für sie. Und Wally ist auch vor dem Krieg sicher, so denkt sie.
Doch die Erwachsenen werden immer schweigsamer, wenn die Kinder in der Nähe sind, es ist die Rede von den Russen, die langsam aber sicher immer näher kommen. Was würde geschehen, wenn die Russen auf den Hof kommen, der den Eltern von der deutschen Regierung gegeben wurde, ohne dass jemand wirklich weiß, was mit den Vorbesitzern geschah? Die Ängste werden immer größer und Weihnachten entschließen sich die Eltern - der Vater hat Fronturlaub bekommen -, das Kindermädchen mit den drei jüngsten Kindern nach Stuttgart zu Verwandten zu schicken. Lena und zwei andere Geschwister bleiben bei der Mutter in Wally, packen aber schon einmal das wichtigste Hab und Gut zusammen. Langsam merken auch die Kinder immer deutlicher, dass etwas Böses im Gange ist, das ihre Kindheit schlagartig beenden wird.
Und tatsächlich: Die Front rückt so nahe, dass man den Kanonendonner hören kann. Die Mutter - die zu allem Überfluss auch noch schwanger ist - und ihre drei Kinder machen sich auf die lange Reise durch das verschneite Polen, immer auf der Flucht vor der Front und den Russen. Auf der Reise und in der dann folgenden Zeit der Zwangsarbeit erleben sie und ihre Familie furchtbare Brutalität, aber auch plötzliche Zeichen der Menschlichkeit.
"Kalte Zeiten" behandelt sensibel und offen das Thema der Vertreibung aus der Heimat. Lena ist in Schlesien und dann in Wally aufgewachsen, auch wenn sie eigentlich Deutsche ist, fühlt sie sich doch fast mehr als Polin. Doch der Krieg nimmt darauf keine Rücksicht. Sie muss als kleines Mädchen mitten im Winter mit ihrer Familie aufbrechen, immer von Angst geplagt. Angst um den Vater, Angst um das Kindermädchen mit den drei Geschwistern, aber auch Angst um die Mutter und ihre Geschwister bei ihr und nicht zuletzt Angst um ihr eigenes Leben.
Diese Geschichte wird durchgehend aus der Sicht eines Mädchens erzählt, das wenig Erklärungen über den Zustand erhält, sich aber ihren eigenen Reim machen kann. Die Mutter versucht, so gut es geht, die Kinder zu schützen, doch immer ist ihr das nicht möglich. Die Unwissenheit des Kindes trifft den erwachsenen Leser noch viel stärker, kann er sich doch aus dem Verhalten der Erwachsenen einen Reim auf das aktuelle Geschehen machen, weiß er doch auch, dass im Krieg die Menschlichkeit eines der ersten Opfer ist
Die Jugendlichen, die das Buch lesen, werden wohl auch besser als Lena wissen, was gerade geschieht, aber auch sie werden von der Unwissenheit Lenas berührt werden. Lenas Gefühle, ihr Hunger, die Kälte, in der sie ohne richtige Kleider und Schuhe arbeiten muss, die Krankheitsgefahr, der allgegenwärtige Tod
all das wird sensibel und unaufdringlich geschildert, ohne Betroffenheit, aber dennoch nahe gehend.
Am Ende des Buches erfährt man in einer Interviewabschrift, wie es Lena erging, nachdem die Handlung des Buches aussetzt.
Das Buch ist für Kinder ab zwölf Jahren empfohlen, dennoch sollte man darauf achten, dass ein gewisses Vorwissen über den Zweiten Weltkrieg vorhanden ist. "Kalte Zeiten" behandelt ein Thema, das bei der Jugendliteratur nicht ganz so oft zu finden ist, daher wissen die meisten Jugendlichen wohl etwas weniger über dieses Kapitel des Krieges. Werner Toporski versteht es sehr gut, die Beweggründe und Gefühle Lenas in Worte zu kleiden, die den Leser direkt erreichen und ihn sehr nachdenklich stimmen