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Russland, St. Petersburg, im Jahr 1914: Ein kulturelles Großereignis hält die Stadt in Atem. Bei einem großen Schachturnier sollen die besten Spieler gegeneinander antreten. Dem Gewinner winkt der Titel "Schach-Großmeister", den der Zar höchstpersönlich dem Sieger überreichen wird. Doch zwei Morde erschüttern die Stadt. Der liberale Zeitungsredakteur Gulko wird von zwei Unbekannten erschossen. Der zweite Mord an einem Mann namens Alexander Yastrebov bringt die Polizei auf die Spur einer geheimen Terrorzelle.
Der jüdische Psychoanalytiker Otto Spethmann und seine Tochter Catherine geraten als Verdächtige ins Visier des undurchsichtigen Polizeiinspektors Lychev. Spethmann ist sich sicher, keinerlei Verbindung zu den Morden zu haben, doch schnell gerät er ins Zweifeln, was seine Tochter Catherine angeht. Anscheinend plant eine Gruppe von Revolutionären einen Mordanschlag auf den Zaren - kann Catherine etwas damit zu tun haben?
Zu dieser Zeit hat Spethmann zwei prominente Patienten zur Psychoanalyse in seiner Kartei: den berühmten Schachspieler Avrom Rozental, der bei dem großen Turnier antreten soll, dessen geistige Verfassung aber auf des Messers Schneide steht. Und die verheiratete Anna Petrovna, die nicht nur atemberaubend schön ist, sondern auch die Tochter eines Mannes von höchstem politischen Einfluss, der nur "der Berg" genannt wird. Anna wird von Albträumen geplagt, deren Ursprung der Psychoanalytiker zunächst nicht ergründen kann. Auch Rozentals geistige Verfassung stellt ihn vor ein Rätsel.
Spethmann gerät in ein Netz aus Intrigen, Lüge und Verrat, in dem er wie eine Marionette ausgespielt wird. Wie in einem Schachspiel muss er seine nächsten Züge planen und wird bei seinen Entscheidungen vor unvermeintliche Opfer gestellt.
Bei "Zugzwang" handelt es sich nicht um einen Schachroman, obwohl das Schachspiel immer und immer wieder vorkommt. Ausgewiesen ist das Buch als Thriller, was ihm wohl auch am nächsten kommt. Im Mittelpunkt steht aber ebenso das gesellschaftliche und politische Abbild des vorrevolutionären St. Peterburg. Bereits wenige Jahre später, 1917, fanden die Februar- und die Oktoberrevolution statt. Die Vorboten dieser umwälzenden Ereignisse sind in diesem Hörbuch schon deutlich spürbar. Autor Ronan Bennett hat Fakten und Fiktion in diesem historischen Thriller vermischt, wobei die Fiktion zwar überwiegt; dennoch fühlt man sich völlig zurückversetzt in ein authentisches St. Petersburg im Jahr 1914.
Fakt ist, dass 1914 in St. Petersburg ein legendäres Schachturnier stattfand, in dessen Rahmen Zar Nikolaus II. erstmalig den Titel "Schach-Großmeister" verlieh. Die fiktive Figur des polnischen Juden Avrom Rozental entspricht Akiba Rubinstein, einem Teilnehmer des historischen Turniers. Wahr ist natürlich auch das Gewirr von politischen Intrigen kurz vor dem Untergang des Zarenreiches, wenngleich sie in "Zugzwang" fiktiv sind; immerhin fanden in St. Petersburg nahezu alle wichtigen Revolutionen und Revolten der russischen Geschichte statt. Dieses Flair hat Bennett wunderbar eingefangen - auf der einen Seite die dunklen Machenschaften undurchsichtiger Gruppierungen, die Terrorpläne, die Lügen, der Verrat, auf der anderen Seite der Einblick in die illustre St. Petersburger Gesellschaft, die sich zum Champagner trifft, kulturell überaus interessiert ist und in vornehmen Kreisen verkehrt.
Dieses Hörbuch, gelesen von Hans Kremer, will eigentlich in einem Stück gehört werden, sonst läuft man Gefahr den Überblick zu verlieren. Das liegt zum Teil auch an den für unsere Ohren ungewohnten Namen, und es treten nicht wenige Personen auf, so dass man wirklich aufpassen muss. Eine Übersicht der Personen in einem Booklet - das leider gänzlich fehlt - hätte hier sehr gut getan. Was auch gegenüber der Romanfassung fehlt, ist die Abbildung der Schachpartie von Spethmann und seinem Freund Kopelzon, die im Roman nachzuverfolgen ist, sich aber im Hörbuch auf die Nennung von Spielzügen erschöpft, die man natürlich nicht nachvollziehen kann.
Sprecher Hans Kremer gelingt es durch seine ruhige, besonnene Art vortrefflich, die in der Hörbuchfassung gekürzte Geschichte lebendig wirken zu lassen, ohne dass man dabei als Hörer den Faden im komplexen Gewebe des Plots verliert. Er liest einen sehr überzeugenden Spethmann - der der Erzähler der Geschichte ist - und gibt auch den anderen Figuren ein unaufdringliches, aber treffendes Gesicht, was die düstere und zugleich altmodisch-glanzvolle Atmosphäre der erzählten Geschichte sehr schön herausstreicht. Diesen Sprecher möchte man definitiv öfter hören!
"Zugzwang" - der englische Originaltitel lautet übrigens auch "Zugzwang" - ist ein eher unaufdringlicher politischer Thriller, der nicht durch absolute Hochspannung besticht, der aber durch seine klare Sprache und die wunderbare Atmosphäre überzeugt und ein plastisches Bild des historischen St. Petersburg vor den Augen des Hörers entstehen lässt. Trotz der wunderbar weichen und gleichzeitig sehr lebendigen Lesung von Hans Kremer ist diese Geschichte nicht zum Nebenbeihören geeignet, sondern fordert aufgrund der Verstrickungen viel Aufmerksamkeit.