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Die Angst steht im Mittelpunkt von Hamid Skifs Roman "Geografie der Angst". Der namenlose Protagonist ist mit Hilfe von Schleppern in die Festung Europa eingedrungen. "Ich habe keine Freunde. Ich lebe allein, esse allein, rede allein, schlafe allein, spaziere allein herum." Einziger Lichtblick ist der Student Michel, der ihn in einem kleinen Zimmer versteckt hat und hin und wieder Essen vorbei bringt. Als die Jagd auf Illegale verschärft wird, traut sich Skifs Protagonist gar nicht mehr aus dem Haus und verbringt seine Zeit auf Michel wartend in dem kleinen Zimmer, beobachtet die Bewohner des Hauses gegenüber, schreibt Tagebuch und versucht, nicht vor Hunger und Einsamkeit verrückt zu werden. Den Nachbarn im Haus aber erscheint der Student, der nur selten das von ihm gemietete Zimmer besucht, verdächtig. Der Protagonist hört sie das ein und andere Mal vor der Wohnungstür stehen und reden, bis er ihnen die Tür schließlich öffnet ...
Täglich verlieren Menschen ihr Leben bei dem Versuch Europa oder Amerika zu erreichen. Schaffen sie es die Grenzen zu überqueren, erwartet sie keine hoffnungsvolle Zukunft, sondern die stete Angst vor Entdeckung. Am Ende des Romans sagt Skifs Protagonist: "Ihr bombardiert uns mit diesem Wohlstand, der von den Bildschirmen tropft, und ihr wollt, dass wir dort unten bleiben, von Kindesbeinen an abgestellt wie Rentner, dass wir uns den Arsch aufreißen und trotzdem vor Durst und Hunger krepieren, nur einige Kilometer von euren Fresssälen entfernt, und ihr schließt die Türen vor unserer Nase." Natürlich will der Roman aufrütteln, will die illegalen Einwanderer, die Sans papiers, ins Zentrum rücken, ihnen eine Stimme verleihen. Hamid Skif erzählt eindrücklich von der Angst eines Illegalen, von seinem Eingeschlossensein im Zimmer, von dem Ausgeliefertsein gegenüber hilfreichen Menschen, die auch immer sein Verhängnis bedeuten können, von seiner Einsamkeit.
Der Roman ist nicht immer leicht zu durchdringen. Das oft verwendete Präteritum und die zum Teil recht langen, verschachtelten Sätze verleihen dem Roman einen gewissen antiquierten Charme und schaffen eine bedrückende und authentische Atmosphäre. Der Protagonist bleibt auf gewisse Art und Weise im Dunkeln. Aus den Erinnerungen und Tagebucheinträgen, die Realität und Fiktion durchmischen, erfährt der Leser einiges aus der Vergangenheit des Mannes, aber es ergibt sich nie ein vollständiges Bild, alles bleibt verschwommen, wie bei einem Blick durch Milchglas. Im Vordergrund stehen nicht bestimmte Ereignisse der individuellen Lebensgeschichte, sondern der Weg mit der Verzweiflung umzugehen, mit den Gefühlen, die die Isolation heraufbeschwört. Die Erinnerungen sind dabei eher ein Ausdruck der Isolation, als Informationen für den Leser. "Kein Mensch ist illegal" lautet eine Kampagne verschiedener linker Gruppen, die auf die Lebensbedingungen "illegalisierter Menschen" aufmerksam machen will. Ähnlich verhält es sich mit Skifs Roman "Geografie der Angst", der die Ängste der illegalen Einwanderer einfangen und verstehbar machen will. Ein namenloser Protagonist wird bei ihm zur Projektionsfläche der Ängste aller Sans papiers und bleibt doch stets Individuum.