Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Kaum eine Persönlichkeit mit einer bedeutenden Rolle im Dritten Reich erscheint so rätselhaft wie Admiral Wilhelm Canaris, der als Abwehrchef dem Geheimdienst vorstand und somit aufgrund seiner Tätigkeit den Nazistaat unterstützte, zugleich aber etliche seiner Mitarbeiter deckte, die im Widerstand aktiv waren.
Michael Muellers Canaris-Biografie beginnt sozusagen mit dem Ende, mit der Zeit nach Canaris Verhaftung wenige Tage nach dem missglückten Stauffenberg-Attentat und der Hinrichtung des Admirals im April 1945. Erst danach wird Canaris Leben mehr oder weniger chronologisch von Geburt an nachgezeichnet:
Wilhelm Canaris, Jahrgang 1887, wächst in einer gut situierten bürgerlichen Familie auf. Wie viele seiner Zeitgenossen steht er überzeugt hinter der Monarchie, und schon früh äußert er den Wunsch, in der Marine eine Offizierslaufbahn einzuschlagen. Der Autor schildert die Stationen von Canaris Ausbildung, die ganz klassisch verläuft, und die großen Herausforderungen und lebensgefährlichen Abenteuer, die Canaris im Ersten Weltkrieg zunächst auf einem Kreuzer, dann als U-Boot-Kommandant erlebt - und überlebt. Bereits vor dem Krieg hat sich gezeigt, dass Canaris sich darauf versteht, als Diplomat Kontakte zu knüpfen und diese für die unterschiedlichsten Zwecke einzusetzen.
Das Kriegsende und die Revolution schockieren Canaris nicht weniger als die meisten Militärs. Er dient zwar der neuen Regierung, ein Demokrat wird jedoch nicht aus ihm. Muellers Biografie vermittelt gut, wie Canaris, mittlerweile in der Geheimdienstarbeit erfahren und dank zahlreicher alter und neuer Kontakte immer wertvoller geworden, mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in Hitlers Dunstkreis gerät. Bald schon unterstützt er den Widerstand, dem viele seiner Mitarbeiter wie Oster und Dohnanyi angehören, indem er diese deckt und schützt. Canaris rettet einige Juden, Geistliche und andere gefährdete Personen ins neutrale Ausland und versucht mehrfach, Hitlers wahnwitzigen Krieg auf diplomatischem Wege zu vereiteln; ohne Erfolg. Andererseits liefert er wertvolle Informationen, die dem Nazistaat bei der Kriegsführung weiterhelfen.
Canaris hat viele Feinde und Konkurrenten, darunter Heydrich. Als mehr und mehr von seinen Mitarbeitern als Widerstandsangehörige auffliegen, gerät er zunehmend unter Verdacht und in Gefahr. Das Genick brechen ihm letztlich unzureichend versteckte Aufzeichnungen seiner Widerstandskollegen.
Dass Wilhelm Canaris eine für den Widerstand bedeutende Figur darstellte, macht diese Biografie deutlich. Sie zeigt aber Canaris ebenso als erfolgreichen Abwehrchef, der mit SS und Partei um das Monopol bei der Geheimdienstarbeit erbittert konkurrierte.
Aus dem relativ bescheidenen Quellenbestand hat der Autor vertrauenswürdiges Material zusammengetragen, das nicht nur Canaris so gut wie möglich porträtiert, sondern auch dem Verständnis des Lesers bezüglich der scheinbar schwer entwirrbaren persönlichen und beruflichen Beziehungen zwischen manchen Wehrmachts-, SS- und Parteigrößen dient - kein Wunder, stand doch Canaris immer im Zentrum der Macht. Aus dieser Perspektive und dem zum Teil aus erst in jüngster Zeit geöffneten englischen Archiven stammenden Quellenmaterial resultiert auch manche neue Erkenntnis über den von Hitler aufgebauten komplexen und von Redundanzen und entsprechenden Intrigen geprägten Machtapparat.
Canaris, der selbst sehr wenig an schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen hat, bleibt in mancherlei Hinsicht rätselhaft. Nur schwer lässt sich erfassen, was der Admiral eigentlich wollte, der sich im Kriegsdienst für den Kaiser ausgezeichnet hatte und den Führer bald als eine Gefahr für Deutschlands Überleben erkannte. Recht klar erweist sich hingegen anhand der Lektüre, wo Canaris Schwachpunkte und Gründe für sein dramatisches Scheitern lagen, sofern sie nicht bei den Kollegen aus dem Widerstand zu suchen sind.
Canaris wird als kühner, hochintelligenter, diplomatisch höchst geschickter und unerschrockener Diener seines Landes charakterisiert, ebenso jedoch auch als ein Mensch, der dazu neigte, sich zu überlasten und dann in Depressionen zu verfallen. Hin und wieder schiebt der Autor, freilich deutlich gekennzeichnet, Aussagen von Zeitgenossen ein, die nicht unbedingt vertrauenswürdig wirken, jedoch, sollten sie korrekt sein, manchen Widerspruch in Canaris Porträt auflösen könnten. Ein schwieriger Protagonist ist Canaris, der sich dem Historiker wie dem Leser konsequent zu entziehen scheint. Die Fotos, die auf mehreren Seiten in der Mitte des Buchs Canaris und Menschen in seiner Umgebung zeigen, vermitteln den Eindruck eines ruhigen, zurückhaltenden, eher introvertierten Menschen.
Auch wenn die Persönlichkeit Wilhelm Canaris also ein wenig geheimnisvoll bleibt, vermag diese Biografie die Bedeutung von Hitlers Abwehrchef und seine zwiespältige Funktion sehr gut wiederzugeben und den Weg des Bürgersohnes hin zur Marine und schließlich zu einer zentralen Position im NS-Staat schlüssig nachzuzeichnen. Trocken wirkt das Buch an keiner Stelle, weshalb es sich auch für am Thema interessierte Nicht-Historiker als sehr informative und spannende Lektüre eignet.