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 Stammheim

Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck und die RAF-Häftlinge


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


Mittlerweile gibt es einige Literatur zur RAF und ihrer Geschichte. In einigen kommen ehemalige RAF-Mitglieder selbst zu Wort (wie zum Beispiel hier), in anderen versuchen Autoren die Geschichte der RAF objektiv nachzuzeichnen. Wer immer sich für die Geschichte und die Personen der RAF interessiert, wird nicht umhin kommen, sich dem Thema von verschiedenen Perspektiven aus anzunähern, denn die RAF polarisiert noch immer. Einer von vielen geteilten Stimmung gegenüber dem Leben im gesellschaftlichen als auch im individuellen Kontext steht eine brutale Umsetzung angestrebter, und eben von vielen geteilter, Ziele gegenüber. Was war die RAF? Stimme und ausführender Arm einer neuen, solidarisierten Generation oder eine mordende Bande? Waren Baader & Co Revoluzzer im Dienste einer besseren Welt oder doch nur größenwahnsinnige Kriminelle, gefangen im eigenen Narzissmus?

Kurt Oesterles Buch "Stammheim" will mit der Perspektive des für die RAF-Insassen in Stammheim zuständigen Vollzugsbeamten Horst Bubeck zur Aufklärung des RAF-Mythos beitragen. Aus der Sicht Horst Bubecks wird die Zeit zwischen 1974 und 1977 dargestellt, in der vier Gründungsmitglieder der RAF im Untersuchungsgefängnis Stammheim einsaßen und auf den Prozess und die Urteilsverkündung warteten: Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhoff, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader. (Nach dem Freitod Ulrike Meinhoffs kam Irmgard Möller zu der Gruppe.) In dieser Rezension wird die überarbeitete und erweiterte Neuauflage, des bereits 2003 unter demselben Titel erschienenen Buches besprochen.

Ein 45stündiges Gespräch, dass Oesterle mit Bubeck geführt hat, ist die Basis für sein Buch, das versucht, die Zeit der Inhaftierung aus Bubecks Sicht darzustellen. Zum einen wird das Geschehen aus der Retrospektive betrachtet, zum anderen aber auch aus der direkt erlebten Perspektive. Bubeck beschreibt das Eintreffen der beiden ersten Häftlinge, Ensslin und Meinhoff, in Stammheim, das Großaufgebot an Polizei und den Tritt, den Ulrike Meinhoff ihm bei ihrer Ankunft versetzt. Er schreibt über die Haftbedingungen und will der Lüge von der Isolation etwas entgegenstellen. "Kein Häftling aus den folgenden Generationen der RAF traf je wieder auf so wenig unangenehme Haftbedingungen wie seine Vorläufer im Stammheimer Gefängnis vor dem 5. September 1977, dem Beginn der Kontaktsperre nach der Schleyer-Entführung." Schon immer und auch immer noch unüblich war und ist beispielsweise, dass die Geschlechter während des Vollzugs nicht getrennt waren, sie außerdem acht Stunden täglich im so genannten Umschluss zusammen sein konnten. Im Gegensatz zu anderen Gefangenen hatten sie jeder einen Fernseher auf dem Zimmer, zusätzlich einen Plattenspieler und außerdem verschiedene Zeitungen, die sie bekamen. Sie durften mehr Bücher als die anderen Gefangenen in ihrer Zelle haben und mehr Besuch bekommen. Gegenüber den Vollzugsbeamten zeigten sie sich abwertend, beleidigend und provozierend. Die Vollzugsbeamten ihrerseits blieben gleichbleibend freundlich, neutral. Der Blick Bubecks zeigt Andreas Baader als Leitwolf, dessen fiese Art auch vor seinen Mitinsassen nicht Halt machte, der jedoch durchaus umgänglich sein konnte, wenn es für ihn von Vorteil war.

Oesterles Buch ist durchweg gut und leicht zu lesen und gibt, das muss dem Leser bewusst sein, Bubecks Perspektive wieder. Er erzählt, was er gesehen und erlebt hat, deutet sehr selten und will nicht bewerten, sondern lediglich berichten. Im Gesamten aber kommt er allzu weise, gerecht und humanistisch rüber. Kein Böses Wort kommt über seine Lippen. Oesterles Bewunderung für den Gleichmut und die Duldsamkeit dieses Mannes, der trotz vieler Beleidigungen, Drohungen und Provokationen nie Rache nahm und Selbstjustiz übte, scheint dann doch etwas zu unkritisch und verherrlichend. Abgesehen davon ist dieses Buch eines, das Einblicke in den Haftalltag gibt, darüber hinaus auch über die Gefängnismauer blickt, Zeitgeist und Politik in den Bericht einflicht und zudem ein Bild der Personen, die die Inhaftierten waren, schafft. Auch die Rolle der Vollzugsbeamten inmitten der Interessen der RAF, der Politik und der Justiz wird beleuchtet.
Ein durchaus lesenswerter und interessanter Bericht des Amtsinspektors Horst Bubeck zur Haft von vier Gründungsmitgliedern der RAF, der mit ihrem kollektiven Selbstmord, der nur noch von den wenigsten angezweifelt wird, endet.

Katja Maria Weinl



Softcover | Erschienen: 01. August 2007 | ISBN: 9783940086075 | Preis: 14,90 Euro | 231 Seiten | Sprache: Deutsch

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