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Manchmal wirken Schriften der Literaturwissenschaft gespenstisch: Wenn sie etwas zum Leben erwecken, das wir lieber einfach, schlicht, versteinert, verbannt haben wollten. Manchmal sitzt auf diesen Steinen, diesen Steintexten ein Medusenhaupt.
Gleich zwei umstrittene und häufig missverstandene Autoren bringt Bärbel Lücke zusammen: Elfriede Jelinek und Jacques Derrida. Beide wurden und werden angefeindet, beide verharmlost und vereinnahmt - und jedes Mal geschieht dies im Auftrag einer schlichten, dinglichen Lesart. Bärbel Lücke bringt die Unruhe wieder ins Spiel, die Derrida und Jelinek zu erzeugen vermögen, geduldig, abwägend, und doch deutlich.
Lücke geht den Beziehungen zwischen Politik, Philosophie und Poesie in vier Aufsätzen nach, die jeweils bei einem anderen Text Jelineks ansetzen. So der erste Aufsatz: Jelineks Drama "Wolken.Heim" und die Erweiterung fürs Theater "Wolken.Heim. Und dann nach Hause" werden auf ihre Beziehung zum österreichischen/deutschen Rechtsruck befragt, auf die Sprache des Nationalismus und auf den "deutschen" Geist. Geist - dieses Wortgebilde, das sich auf die Vernunft und auf den Wiedergänger/das Gespenst aufteilt; Geist, dem Derrida ein Buch gewidmet hat, jenes Buch über "Heidegger und die Frage", und Gespenst, im Titel eines anderen Derrida-Buches: "Marx Gespenster". Bärbel Lücke fragt hier vor allem nach dem, was ein Zitatengewebe ausmacht. Jelinek hat "Wolken.Heim" aus Zitaten zusammengesetzt. Freilich hat sie einige dieser Zitate entstellt. Eine Kritik an dem Stück lautete dann, es würde Worte aus dem Zusammenhang reißen, würde die Geschichte verfälschen, den Sinn geschichtlicher Texte. Indem Bärbel Lücke zeigt, dass die Sprache nicht abbildet (eigentlich ein alter Hut!), dass der Sinn eines Textes nicht dadurch hergestellt wird, dass er wiederholt wird, indem sie also auf die Kluft zeigt, die jedes Zitieren offen legt, wird Jelineks Text zwar nicht "wahrer", aber ernsthafter. Die Entstellung verdeckt nicht den Ursprung, sondern legt die politische Motivation jeder Rede vom Ursprung bloß. Zitieren heißt schon, eine Übersetzung zu leisten. Die nationalistische Sprache, die auf die eigentliche Bedeutung zu sprechen kommt, ist diejenige, die auf die gefährlichste Art und Weise entstellt. Dass Jelinek hier nicht nur den Rechtsruck "zitiert", sondern auch den Linksruck - die Sprache der RAF -, zeigt, dass sich der gewisse politische Radikalismus beider Richtungen ähnelt, so sehr diese auch den Unterschied betonen.
Sprache und Macht wird das Thema der weiteren Aufsätze bleiben. Der zweite Aufsatz umkreist wiederum zwei Stücke von Jelinek, "Das Lebewohl (Les Adieux)" und "Das Schweigen". In "Das Lebewohl" verschränkt Jelinek eine Rede des (Rechts-)Populisten Haider mit der Orestie von Aischylos. Die Götter der Orestie sind schon in dem französischen Nachsatz Adieux enthalten (à dieux, das so viel heißt wie: Grüß Gott!, wörtlich aber: für die Götter). Die Frage nach der Inszenierung der Sprache und der Inszenierung der Macht führt zu dem Verhältnis einer ästhetischen Maskierung - dem lachenden Populisten - und der demaskierenden Ästhetik, zumindest der Möglichkeit einer Ästhetik, die nicht beschönigt. Hier geht Bärbel Lücke aber mit Jelinek noch einen Schritt weiter und fragt, was die (politische) Sprache mit der (politischen) Macht verschränkt.
Der dritte Teil untersucht den Zusammenhang zwischen Rahmen, Augen und Verblendung in einem kurzen Gedenkaufsatz, den Jelinek nach dem Tod des Malers Zeppel-Sperl verfasste. Auch hier wird der zwiespältige Status des Rahmens und der Augen erörtert - der Rahmen, der als Bühnenrand der Inszenierung schon in den beiden vorhergehenden Aufsätzen erschienen ist; die Augen, die auch die Augen des Lesenden und Betrachtenden sind, des Volkes, des Fremden, des Politikers, und schließlich die Augen Jelineks. Die Verblendung kehrt hier nicht als Figur der Unvernunft wieder, sondern als Versprechen einer Unschärfe, die das Vielfältige ermöglicht. Wie die Bilder Zeppel-Sperls randlos sind, da ihr Rahmen schon zu ihnen gehört, so wird das Denken fassungslos, wenn die Verblendung keine Sackgasse ist, sondern ein Übergang (zum Ungedachten).
"Ulrike Maria Stuart" bildet den Kerntext des letzten Aufsatzes. Hier werden die Sprengsätze, die Jelinek legt (und zündet), aufgesucht: Sprengsätze insofern, als die Ästhetik Schillers Verbindungslinien zum Denken der RAF aufweist; als auch die RAF in ihrer "skrupellosen Privatisierung der Revolution" nicht als marxistisches, sondern als hedonistisches und narzisstisches Phänomen inszeniert wird - schon dies entgegen den oberflächlichen Meinungen, die man von Schiller und der RAF hat. Bärbel Lücke zeigt, dass durch die mehrfache satirische Um-Drehung die verkehrte und verdrehte Welt der Ideologie entlarvt wird. Auch hier ist die Ent-Stellung und Ent-Grenzung kein ästhetisches Geplänkel, sondern ein Mittel, die Erhabenheit des RAF-Terrors wie den Terror der Schillerschen Erhabenheit umzuwerten.
Vier Texte, die die Frage der politischen Sprache stellen; vier Texte, die den politischen Zug in den Werken Jelineks unterstreichen und zugleich den Leser in den Bann ziehen, einem sehr entgrenzten Bann übrigens. Bärbel Lücke schreibt knapp und kenntnisreich, zupackend, offen, achtsam. Noch einmal geraten hier Texte und Bilder in Bewegung, in einer Sprache, die Zwischenreiche, Übergangszeiten, identitätslose Gewebe zum Vorschein bringt. Insofern ist dieses Buch auch mehr und anderes als Literaturwissenschaft; es ist - mit den Mitteln der Literaturanalyse - ein politisches Buch, ein hervorragendes Buch.