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Es ist noch ganz früh am Morgen. Seine Eltern schlafen noch, auch der regelmäßige Atem seiner neben ihm liegenden Schwester enttäuscht ihn. Der Tag riecht doch so gut. Die Sonne scheint und das hohe Gras lädt zu einem Spaziergang ein. Er legt sich ins Gras, sieht kaum mehr den Himmel vor lauter Grün.
Warum ist seine Mutter nur böse auf ihn. Er wollte doch nur das Gras und den Tag genießen?
Er nimmt seine Schwester bei der Hand und geht mit ihr zur Straße. Er darf das nicht, das weiß er. Doch warum darf er nicht an einem so schönen Tag mit seiner Schwester spazieren gehen? Ein dicker Mann und seine Frau nehmen die beiden Kinder mit nach Hause. So allein an der Straße sei es doch gefährlich. Auch Mutter findet das, sie ist wieder böse auf ihn. Aber warum? Was hat er getan?
Er geht zum Fjord und besteigt das Boot. Er darf das nicht, aber das Meer ist so ruhig, die Luft so warm, der Tag so schön. Ein Ruder schwimmt davon. Seine Mutter sperrt ihn ein, ist sehr böse auf ihn. Er ist allein im Haus, so schrecklich allein, dass er an die Scheibe der Tür klopft. Die Scheibe geht kaputt, seine Hand blutet. Er versteckt sich unter dem Bett, überall Blut. Seine Mama wird sehr, sehr böse mit ihm sein. Aber er war doch nur allein und wollte zu seiner kleinen Schwester.
Die kleinen Episoden, die der norwegische Autor Jon Fosse aus der Sicht eines vierjährigen Jungen niedergeschrieben hat, sind außergewöhnlich. Nicht nur der wundervoll klare, wie gedankenverloren vor sich hin assoziierende Stil, auch die Art und Weise, wie er die unbegreifbare Innenwelt eines Kindes der offensichtlich falschen Sicht auf die Geschehnisse durch die Erwachsenen gegenüberstellt, ist einmalig.
Diese Geschichte berührt und fasziniert, verstört und macht nachdenklich. Gerade Eltern werden sich fragen, wie extrem sie die Welt ihrer Kinder missverstehen, wie sehr sie deren Motive und Handlungen falsch deuten. Fast schon anklagend ist der Gedankengang des Kindes. Denn obschon das Kind nicht wertet, nicht versteht, warum die Mutter so reagiert und nicht die Chance hat, ihr seine Handlungen zu erklären, gibt es doch eine einfache Möglichkeit, das Kind anders wahrzunehmen. Ganz einfach aus der Sicht eines Kindes die Welt betrachten oder sich fragen, was das Kind eigentlich wollte, würde schon genügen.
Der Junge weiß selbst nicht, wie sehr er seine Schwester liebt. Doch verborgen in seinem Schweigen, in seiner Unfähigkeit, auszudrücken, wie wichtig ihm das Wesen neben ihm im Bett ist, fühlt der Leser doch mit jedem Satz die Innigkeit und Tiefe der Beziehung.
Dies zu vermitteln ist dem Autor auf eine einmalig schöne Art und Weise gelungen. Diese sehr kurze Geschichte, die Kinder ab acht Jahren durchaus versuchen sollten zu lesen und zu verstehen - wahrscheinlich fällt ihnen das ohnehin viel leichter als den Erwachsenen - ist sagenhaft schön!
Dank Aljoscha Blau erhält man auch einen winzigen visuellen Blick auf diese innere Welt. Seine wenigen, ganzseitigen Illustrationen sind Synonyme für die Einsamkeit des Jungen, seine Sicht auf die Welt und die fast lyrisch anmutenden Gedanken, die Jon Fosse dem Vierjährigen zuschreibt.
Der dem Buch zuerkannte Jugendliteraturpreis ist nicht zuletzt dank der wundervollen, besonders lobend hervorgehobenen Übersetzung durch Hinrich Schmidt-Henkel ausgesprochen worden.