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Nicht nur angehende Chemiker, sondern auch Studierende (und Praktizierende) anderer Wissenschaften, zum Beispiel Geologen, Physiker und Pharmazeuten, benötigen Kenntnisse der Anorganischen Chemie, deren Umfang vom jeweiligen Fachgebiet abhängt. In über hundert Jahren hat sich der immer wieder umstrukturierte und an den aktuellen Wissensstand angepasste "Holleman/Wiberg" als "Anorganik-Bibel" etabliert; 2007 erschien die 102. Auflage mit vielen Erweiterungen und einigen Neuerungen.
Das über zweitausend Seiten starke und gut zweieinhalb Kilogramm schwere Buch ist in fünf Teile gegliedert. Teil A befasst sich mit den Grundlagen der Chemie, worunter Aufbau und Interaktionen von Atomen, Ionen und Molekülen und die zugehörigen Gesetzmäßigkeiten zu verstehen sind. Auch die Chemie des Wasserstoffs und seiner Verbindungen ist in Teil A anzutreffen.
In Teil B geht es um die Hauptgruppenelemente und ihre Verbindungen. Zunächst findet man ein einleitendes Kapitel, gefolgt von einem ausführlichen, eingeschobenen Kapitel über die Grundlagen der Molekülchemie. Daran schließen sich die Hauptgruppen von Acht bis Eins an.
Teil C, "Nebengruppenelemente", beginnt ebenfalls mit einer kurzen Einführung und darüber hinaus mit zwei eingeschobenen Kapiteln über die Komplexchemie beziehungsweise die Festkörperchemie. Die eigentlichen Kapitel über die Nebengruppenelemente und ihre Verbindungen sind in der numerischen Reihenfolge der Gruppen angeordnet. Analog ist Teil D (Lanthanoide, Actinoide, Transactinoide) strukturiert mit einer einführenden Zusammenfassung, einem Kapitel über die Grundlagen der Kernchemie und natürlich Kapiteln zu den Lanthanoiden, Actinoiden und Transactinoiden.
Teil E ist nichts anderes als ein ausführlicher Anhang mit zahlreichen Tabellen und Übersichten, die häufig benötigte Daten wie Atom- und Ionenradien, Bindungslängen und Normalpotentiale bereithalten. In den Klappen findet man das Periodensystem in zwei Ausführungen.
Auch die Neuauflage präsentiert sich im vertrauten Layout: nüchtern, zwar mit zahlreichen sehr hilfreichen Tabellen und Grafiken versehen, aber stets schwarz-weiß. Anders als moderne amerikanische Lehrbücher setzt der "Holleman/Wiberg" vor allem auf eine umfassende Darstellung praktisch sämtlicher verfügbarer Inhalte des Fachs und weniger auf eine optisch ansprechende Präsentation. Eine klare Gliederung ist dennoch vorhanden: Wesentliche Inhalte sind sozusagen normal gedruckt mit Hervorhebung zentraler Begriffe und Stoffnamen in Fettdruck; ergänzendes, nicht für alle Angehörigen der Zielgruppe relevantes Wissen schließt sich in geringerer Schriftgröße an. Anmerkungen findet man klassisch in Fußnoten - viele andere Lehrbücher arbeiten mit Randspalten -, zum Beispiel Angaben zu weiterführender Literatur, Geschichtliches oder sonstige Ergänzungen. Auf diese Weise wirkt der "Holleman/Wiberg" optisch zwar sehr gedrängt mit seinen dicht bedruckten Seiten, doch an keiner Stelle unübersichtlich, und nur so lässt sich erklären, wie man praktisch das gesamte moderne Wissen zur Anorganik auf zweitausend Seiten unterbringen und darüber hinaus gut nachvollziehbar erklären kann.
Allerdings versteht sich das Werk, den ersten Teil ausgenommen, eher als Nachschlagewerk denn als Lehrbuch. Das heißt nicht, dass Anfänger nicht damit arbeiten könnten. Teil A, "Grundlagen", ist bewusst als Hinführung zu den komplexeren, spezifisch anorganischen Themen gehalten. Freilich gibt es Lehrbücher zur Allgemeinen Chemie, die den Bedürfnissen von Studierenden der ersten Semester und jenen mit Chemie als Nebenfach besser entgegenkommen. Vermutlich existiert jedoch kein Lehr- und Fachbuch, das über die eigentliche Anorganik mehr und besser dargestelltes Wissen anbietet. Vorkommen, Darstellung beziehungsweise Gewinnung, physikalische und chemische Eigenschaften und gegebenenfalls Verwendung von Elementen und Verbindungen, von den letztgenannten auch sehr "exotische", werden übersichtlich vorgestellt und erläutert. Tabellen in den vorangestellten Zusammenfassungen zu den einzelnen Gruppen ermöglichen das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten ebenso wie entsprechende Übersichten zu untereinander eng verwandten Verbindungen eines Elementes. Dank der klaren Struktur lernt man rasch, das Buch optimal zu nutzen, zumal das sehr detaillierte, sorgfältig erstellte Register beim Nachschlagen keine Wünsche offen lässt.
Die an inhaltlich passenden Stellen eingeschobenen Grundlagenkapitel sind anspruchsvoller als Teil A, zumal sie ja auf speziellere Themen eingehen, die nicht alle "Holleman/Wiberg"-Besitzer benötigen dürften. Mit den entsprechenden Vorkenntnissen, zum Beispiel aus Teil A, lassen sie sich jedoch ebenfalls gut verstehen.
Vergleicht man die 102. mit den vorhergehenden Auflagen, findet man zahlreiche Anpassungen an den aktuellen Forschungsstand. So gibt es ausführliche Erläuterungen zu den verschiedensten Fullerenen und anderen Elementmodifikationen (nicht nur des Kohlenstoffs) sowie zu Mehrfachbindungssystemen, es werden etliche "neue" Edelgasverbindungen vorgestellt und vieles mehr. Insgesamt wirkt diese Auflage auch anwendungsbezogener.
Für die Benutzung als Lehrbuch ist der "Holleman/Wiberg" zwar im Allgemeinen etwas zu komplex und teils zu speziell, als Nachschlagewerk und zur Prüfungsvorbereitung hingegen findet man sicher kein geeigneteres Werk. Diesbezüglich kommt er den unterschiedlichsten Gruppen von Chemieinteressierten entgegen: vom Chemie-Leistungskursler, der ein Referat zu einem speziellen Thema halten möchte, über Studenten im Nebenfach bis hin zum Diplomanden und Doktoranden der Chemie. Angesichts des gewaltigen Informationsangebots wirkt der Preis völlig angemessen.