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Die diachrone Sprachwissenschaft untersucht inhaltliche und formale Veränderungen in der Sprache in historischen Kontexten. So auch dieser Band - als achtzehnter in der Reihe "Schriften zur diachronen Sprachwissenschaft" erschienen. Im Mittelpunkt dieser Studie steht ein Gebrauchstext: das juristische Testament. Andreas Bieberstedt stellt dar, wie sich Testamente in ihrer Textstruktur verändern. Dabei beschränkt er sich auf mittelniederdeutsche Testamente, vor allem solche aus der Hansestadt Lübeck im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert.
Bieberstedt untersucht die Testamente auf drei Ebenen: einmal auf der Ebene der Makrostruktur - also der allgemeinen Elemente, in die sich ein Testament gliedert; einmal auf der Ebene der Basisstruktur - all jenen Elementen, die die Makrostruktur weiter verfeinern; und ein drittes Mal auf der Substrukturebene mit jenen Elementen, die die Basisstruktur differenzieren. Schließlich gibt es eine vierte Ebene, jene der Syntax, auf der die einzelnen Elemente der verschiedenen Ebenen realisiert werden.
Die Gliederung der Untersuchung ist klassisch: Nach begrifflichen Erörterungen wird die Forschungslage zu Testamenten dieser Zeit im mitteleuropäischen Raum vorgestellt, dann ein Korpus von Testamenten erstellt und dieser dann eingehender untersucht. Abschließend wird ein Ausblick auf die zukünftigen Forschungsaufgaben gegeben. Im Anhang wird ein umfangreicher Apparat an Tabellen mitgegeben. Dieser umfasst zum Beispiel eine Tabelle mit der "Idealstruktur" Lübecker Testamente, Tabellen mit den syntaktisch-sprachlichen Realisierungsformen bestimmter Textelemente und eine Liste mit den untersuchten Testamenten, deren Ausstellungsdatum und deren Provenienz.
Wie problematisch die Textlinguistik ist, wird in dieser Untersuchung nur am Rande erwähnt. Dies wird durch einen doppelten Ausschluss erreicht: Zum einen sind Testamente stark kodifizierte Texte, die zwar historisch variieren, aber einen formalen Kernbestand besitzen; zum anderen wird eine soziologische Interpretation im historischen Kontext nicht geleistet. Sicherlich ist dies nicht die Aufgabe der Sprachwissenschaft. Sie ist eine Hilfswissenschaft, im besten Sinne des Wortes.
aber genau hier steckt dann eben doch der Knackpunkt. Welche Anhaltspunkte gibt es für die Variationen, für die Abwandlungen, zum Beispiel für den Übergang von der lateinischen Sprache zu Testamenten, die im Mittelniederdeutschen verfasst sind? Welche textstrukturellen Variationen korrespondieren mit einem sozialen Wandel, welche sind eher individuell zu fassen? Zwar gibt es Hinweise, aber zumindest eine Anbindung an andere Wissenschaft - in Form von Hypothesen - wäre hier hilfreich gewesen. Letzten Endes muss es die Aufgabe jeder Wissenschaft bleiben, von ihrer Disziplin aus Licht auf die aktuelle historische Situation zu werfen, und sei dieses Licht noch so schwach. Der allgemein gehaltene Titel des Bandes hat auf anderes, andere Inhalte schließen lassen und zumindest auf einen Sachbereich und eine Begrifflichkeit, die sich leichter für den Transfer eignen. Hier jedoch ist der Themenbereich zu speziell und der Begriffsapparat zu sehr auf den Untersuchungsgegenstand zugeschnitten.
Wer mit der Linguistik vertraut ist, wird hier eine gute, klare und fundierte, wenn auch sehr an der Disziplin der Sprachwissenschaft ausgerichtete Untersuchung finden. Für Rechtshistoriker und Stadtsoziologen (mit historischem Interesse) dürfte dieser Band ebenfalls interessant sein.