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 Die Geschichte der RAF


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Vor dreißig Jahren, im Herbst 1977, kam es zu einer Verbrechenswelle, welche Deutschland nachhaltig verändern sollte. Mitglieder der "Roten Armee Fraktion", kurz RAF, entführen den Arbeitgeberpräsident Schleyer. Mit Hilfe dieser prominenten Geisel versuchen die Entführer, inhaftierte RAF-Mitglieder frei zu bekommen. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, eine Freilassung von Schleyer oder den RAF-Gefangenen ist nicht in Sicht. In diesem Zeitraum wird ein Flugzeug der Lufthansa, die "Landshut", auf ihrem Weg nach Frankfurt von Terroristen entführt. Die Forderungen der Flugzeugentführer gehen in die gleiche Richtung wie die der Schleyer-Entführer. Die Maschine wird letztendlich in Mogadischu von Beamten der GSG-9 gestürmt, die Geiseln befreit und drei der Entführer erschossen. Wenige Tage später, nach mehreren Wochen des Verhandelns und des Verzögerns wird Hanns Martin Schleyer erschossen aufgefunden. Zuvor hatten Baader, Raspe und Esslin, führende Mitglieder der RAF, in ihren Zellen Selbstmord begangen.

Doch wer, oder besser, was war die RAF? Dreißig Jahre später stellt man sich eine Terrororganisation anders vor. Nicht zwangsläufig unter uns, nicht Bundesbürgern und auch nicht Intellektuelle.
Der Autor Willi Winkler versucht in seinem Buch, dem Leser ein Stück deutsche Geschichte zu vermitteln. Doch die Geschichte der RAF beginnt nicht mit ihrer Gründung Anfang 1970. Die Ereignisse, welche zu ihrer Gründung und ihren Unternehmungen führen, ereignen sich bereits Jahre zuvor. Nachkriegsdeutschland befindet sich im Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder beginnt. Die Republik ist in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Berlin, die geteilte Stadt, entwickelt sich wieder zu einem Zentrum, in dem das Leben pulsiert. Der Ostteil der Stadt ist von der Roten Armee befreit worden und steht nun unter sowjetischem Protektorat. Der Westteil wird von Frankreich, Großbritannien und den USA vor den Kommunisten beschützt. Gerade im Westteil ist die Stimmung antikommunistisch und proamerikanisch. Das führt dazu, dass unter anderem die KPD verboten wird. Deren Mitglieder werden denunziert, verfolgt und inhaftiert. Die BRD, als Rechtsnachfolger des Dritten Reiches, hatte in politischen und wirtschaftlichen Führungsebenen immer noch Nazi-Größen und deren Sympathisanten sitzen. Die Presse bleibt nicht länger neutral, sondern engagiert sich politisch. Vor allem der Springer-Verlag sticht hier heraus. Die Meinungen der Springerpublikationen werden oftmals von der Politik unreflektiert aufgenommen oder gar umgesetzt.
Doch es regt sich Widerstand gegen diese Haltung. Vor allem auf Studenten, die rebellieren und aufbegehren, liegt das Augenmerk der Politik und auch der Presse. Es wird gegen den Vietnamkrieg demonstriert, gegen die Beteiligung Europas und Deutschlands an diesem Krieg, gegen die Stationierung von Atomwaffen in der BRD und gegen das Wettrüsten. Auch war der empfundene Faschismus jener Zeit ein weiterer Grund zu demonstrieren. Es sollte das getan werden, was drei Jahrzehnte zuvor nur sehr wenige taten: Widerstand leisten. Vorbilder jener Zeit waren die Beatles, Che Guevara und Fidel Castro. Berühmt in diesem Zusammenhang wird 1967 die Kommune I. Sie versuchte mit provozierenden, aber harmlosen Aktionen die Menschen wachzurütteln.
Dann wird bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Daraufhin erlässt der Berliner Bürgermeister ein Demonstrationsverbot. Immer mehr Grundrechte sollen eingeschränkt werden, um den Kommunismus und dessen Anhänger zu bekämpfen.
Der Autor bringt die damalige politische Situation sehr an den Leser. Es ist leicht nachvollziehbar, was Menschen wie Baader, Ensslin, Meinhoff, Dutschke und weitere wütend machte. Es waren unter anderem die Lebensumstände, welche die jungen Menschen rebellieren ließen. Sie sollten sich zufrieden geben mit dem, was sie haben, sie hätten ja nicht leiden müssen wie ihre Eltern seinerzeit. Andererseits sind die Eltern ja auch selber schuld, denn sie haben sich ja nicht gewehrt.

Weiter schildert Winkler die Ereignisse, angefangen bei den Kaufhausbrandstiftungen durch Baader, Ensslin und Proll über die Befreiung von Baader durch Meinhoff und andere Bekannte bis zur Gründung der RAF.
Auch die Inhaftierung und Zusammenlegung der RAF-Führungsspitze in Stuttgart-Stammheim, das Einschmuggeln von Waffen, die Beziehung untereinander, der Selbstmord von Ulrike Meinhoff und das Versagen der Ermittlungsbehörden kommen in dem Buch zur Sprache.

Bis zu ihrer Selbstauflösung 1998 beging die RAF zahlreiche Attentate und Sabotage-Akte. Doch die dritte und letzte Generation hatte mit ihren Vorgängern fast nichts mehr gemeinsam.
Winkler skizziert aber nicht nur den Weg zur RAF, sondern versucht dem Leser, das Gefüge innerhalb der Gruppierung aufzuzeigen.
Die RAF hat schon sehr früh das verloren, was sie am dringendsten brauchte: den Rückhalt in der Bevölkerung. Ursprünglich wollten sie nicht mehr nur Widerstand mit Worten leisten, sondern Taten sprechen lassen.
Winkler zeigt weiterhin auf, warum es der BRD lange nicht gelang, der RAF beizukommen. Er berichtet von Ermittlungsfehlern, Pannen bei der Fahndung sowie von Verfassungsschutzbeamten, welche gerade in den Anfangszeiten, Waffen und Sprengstoff zur Verfügung stellte.
Auch das restliche Umfeld um die RAF lässt der Autor nicht unerwähnt. Es ist interessant, welcher Politiker von heute sich damals engagiert hatte und wie.

In einem sachlichen, größtenteils wertneutralen Ton ist das Buch verfasst. Winkler weder begrüßt noch verteufelt die Taten. Er versucht durch die Hintergründe nicht zu entschuldigen, was Baader, Meinhoff und die restliche RAF taten. Vielmehr soll sich der Leser selbst darüber ein Bild machen können, was damals dazu geführt hat, dass sich eine Gruppierung wie die RAF überhaupt etablieren konnte. Aus eben diesen Fakten kann, soll, muss man lernen.
An wenigen Stellen jedoch wirken die Worten nicht so wertneutral gewählt. Ein weiterer Kritikpunkt an diesem anspruchsvollen Buch sind die Literaturhinweise und Zitate. Diese sind mit Nummern versehen und man muss immer wieder ans Ende des Buches blättern. Eine Einbindung als Fußnoten wäre wünschenswert, doch bei der Masse an Hinweisen schier unmöglich. In der Mitte des Buches befinden sich einige schwarz-weiß Fotografien von RAF-Mitgliedern, Fahndungsplakaten und Tatorten. Am Ende findet man noch mal eine Zeittafel, sowie die Literaturhinweise und Zitate.

Für Kenner der Materie ist "Die Geschichte der RAF" von Willi Winkler vielleicht ein interessantes Buch. Es werden viele interessante Ansätze und Hintergründe vermittelt, welche in anderen Büchern gleicher Thematik nicht so deutlich zur Sprache kommen.
Für Nichtkenner bildet das Buch eine gute Grundlage. Doch können die vielen erwähnten Personen und deren Verbindung zu- und untereinander zu Verwechslungen führen.

Christoph Heibutzki



Hardcover | Erschienen: 01. September 2007 | ISBN: 9783871345104 | Preis: 22,90 Euro | 527 Seiten | Sprache: Deutsch

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