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Thomas will später einmal glücklich sein. Er gibt nicht auf, selbst wenn der Holzlöffel weh tut und er die Augen schließen muss, um nicht zu weinen. Seine dumme Schwester, die vielleicht gar nicht so dumm ist, seine arme Mutter, die die Schläge hinnimmt, ohne sich zu wehren und sein Vater, dem er alle Todsünden an den Hals wünscht. Und Jesus, den nur er sieht, hat von alledem keine Ahnung. Der weiß nicht mal, dass sein Herr tot ist, tot sein muss, wenn man so sieht, was alles passiert, ohne dass er eingreift oder hilft.
Alles, was Thomas erlebt, das Schöne - zum Beispiel sein Brief, den er an Elisa geschrieben hat - und das Schlimme schreibt er in sein Buch von allen Dingen. Hier hält er fest, was er nie vergessen darf, um später glücklich zu sein. Und um vielleicht Elisa mit dem knirschenden Lederbein zu heiraten, wenn sie auf ihn wartet. Denn er ist erst neun - fast zehn - und Elisa schon sechzehn.
Ein Buch wie ein Gedicht. Kryptisch, ineinander verschachtelt, schwer zu verstehen, traumhaft schön und abgrundtief traurig. Zutaten, die nicht in ein Kinderbuch passen - meint der Erwachsene, wenn er die traurige, Mut machende Geschichte von Thomas liest. Zu hart, zu grausam, zu erniedrigend ist die Kindheit von Thomas, zu ekelhaft der Schatten seines Vaters, der über allem schwebt.
Werden aus Geschlagenen nicht Schläger? Nein, Thomas will glücklich werden. Und wie er aus der Dunkelheit heraus, Schritt für Schritt, erst feige, dann zögerlich, dann ein bisschen mutig und letztlich fast wie ein Held, ins Licht tritt und hinter sich lässt, was ihn, seine Mutter, seine Schwester und die Welt, bedrückt und am Boden hält, ist so lesenswert wie beeindruckend.
Wie kann ein Buch, das vom Krieg, vom Hass, vom bigotten Unterdrücken, von der Gewalt in der Familie, von der Hoffnungslosigkeit der Unterdrückten handelt, Mut machen? Wie kann ein Buch, das traurig, deprimierend und unsagbar melancholisch ist, lesenswert sein?
Weil es Guus Kuijer geschrieben hat. Und dieser holländische Autor verwandelt Pein in reinste Poesie. Macht aus Unterdrückung Hoffnung auf Widerstand, macht aus Not und Leid eine Hürde, die es zu überwinden gilt. Mit leisem Humor, einer traumhaft schönen Sprache, poetischen Einfällen und absurden Fantasien eines Kindes, das zunächst keinen Ausweg sieht, vermag Kuijer eine Geschichte zu schreiben, die Kinder ab zehn Jahren und Erwachsene gleichermaßen fasziniert. Er macht nachdenklich, regt an, über die eigene Kindheit nachzudenken, die der Eltern, die der Kinder, über die eigene Rolle dabei, die eigene Macht und Ohnmacht, den möglichen Machtmissbrauch und die Chance, Wegbereiter zu sein.
Selten hat ein Buch so bewegend Hoffnung vermittelt wie "Das Buch von allen Dingen". Selten ist ein Buch so eindeutig zu empfehlen wie dieses kleine, aber feine Büchlein, das Kuijer da abgeliefert hat.
Auch Dank des schönen, passenden Titelbildes von Michael Sowa legt man dieses Buch nach dem Lesen nicht aus der Hand, sondern beginnt erneut darin zu blättern. Unwillkürlich sucht man auf den Seiten die Passagen, die diese seltsame Stimmung, diese Nachdenklichkeit in einem erzeugt haben - ohne sie zu finden. Und ohne es zu merken, liest man dieses Buch ein zweites Mal - wieder begeistert, wieder verstört, wieder fasziniert.