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 Winterreise


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Bildqualität
Extras
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton
Das Umfeld des Franz Brenninger ist voller Arschlöcher: Die Materialzulieferer für seine Firma wollen erst Geld, dann ihre Ware abliefern, sein Briefkasten ist voller Arschlochpost, und selbst den Komponisten Franz Schubert zählt er bisweilen zu den Arschlöchern, wie eigentlich jeden. Brenninger ist umgeben von hinterhältigen Idioten, wer ihm einen Gefallen tut, tut das deswegen, weil Brenninger ihn gefälligst verdient hat, Schwarzafrikaner sind dummer Neger, andere Autofahrer sind grundsätzlich auch wieder Arschlöcher und wenn Brenninger besonders "gut drauf" ist, sind sein Sohn und seine Tochter Versager. In dieser Stimmung hört er dann ganz laut depressive Musik, Titel wie "Insane", und dabei darf ihn auch nicht seine Frau Martha stören, die fast blind ist, dann wird er sehr rau und nachher geht er in den Puff und lässt sich von zwei jungen Damen verwöhnen.
Und wenn dieses "gut drauf sein" vorbei ist, dann wird offenbar, wie zerrüttet diese Gestalt ist. Ein menschliches Wrack, manisch depressiv, finanziell kurz vor dem Ruin, früher war alles besser. Die traurigen Lieder von Schuberts "Winterreise" ziehen ihn runter und sind zugleich sein Anker. Ein kranker Mann, der es aber nicht wahrhaben will.
In seiner finanziellen Not kommt ihm ein Angebot aus Kenia sehr gelegen: Da bietet ihm jemand an, 15 Millionen Dollar auf einem von Brenninger eröffneten Konto zu parken, um Steuerbelastungen zu umgehen. Brenninger würde fünf Prozent davon erhalten. Als Marthas Augenlicht gänzlich zu schwinden droht, willigt Brenninger in diesen absurden Deal ein. Und natürlich wird er übers Ohr gehauen. Aber er ist Brenninger und fasst den Entschluss, nach Kenia zu reisen und sich sein Geld zurückzuholen, das er als Sicherheit angezahlt hat, fünfzigtausend Euro. Die junge Dolmetscherin Leyla soll ihn begleiten und in Marthas Auftrag auf ihn aufpassen. Es wird eine Reise, die Brenninger wieder näher zu sich selbst führt.

Eine Winterlandschaft, trostlos-traurige Klaviermusik des polnischen Komponisten Anton Lazarkiewicz, die Kameraführung von Bella Halben, die geschickt mit Schärfe, Unschärfe, Perspektiven und Schatten spielt, sehr intensive Stimmung gleich zu Beginn, ein Mann, der einen Strick auf seine Festigkeit testet, als wolle er sich aufhängen, so beginnt Hans Steinbichlers Film "Winterreise", der national und international mit Filmpreisen und anderen Auszeichnungen bedacht wurde. Die Stimmung driftet mal in den latenten Wahnsinn ab, mal in entspanntere Szenen, kehrt aber immer wieder zu diesem Level zurück. Und mehr kann man über diesen gefühlvoll erzählten Film nicht sagen, ohne Hauptdarsteller Josef Bierbichler zu erwähnen. Denn um ihn dreht sich die Handlung, er trägt den ganzen Film und es gibt in Deutschland wohl kaum einen anderen Schauspieler, der die Rolle des Franz Brenninger so glaubhaft hätte darstellen können. Und durch ihn wird diese Figur zu einer der wohl tiefgründigsten, die das deutsche Kino je hervorgebracht hat. Bierbichler gibt einen guten Teil seiner selbst in diese Figur und wirkt dadurch so natürlich, dass es eine Wonne ist, ihm zuzuschauen. Die anderen Schauspieler spielen Bierbichler sehr gut zu, allen voran die frühere Leinwandgröße Hanna Schygulla, die als Martha einen starken ruhigen Gegenpol zu Brenninger darstellt.
Der Film - der, nebenbei angemerkt, keine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Meinrad Braun ist - spielt zu zwei Dritteln im verschneiten Bayern und danach in Nairobi, der Hauptstadt von Kenia. Dort wurde auch gedreht und vieles davon besitzt dokumentarischen Charakter. Steinbichler erzählt im Kommentar, dass sie beim Dreh in den Straßen der Stadt improvisieren mussten, weil sich diese Kulisse nicht kontrollieren ließ, und das merkt man den Bildern sehr an. Dadurch wirken sie sehr authentisch. Brenningers Charakterwandel wird hier auch bildlich mit dem Kontrast von Schneelandschaft und afrikanischer Hitze verdeutlicht. Überhaupt hat Steinbichler viel Bildsprache in seine Inszenierung gebracht, die selbst dem Laien auffallen kann.

Den Film kann man auch mit Audiokommentar von Regisseur Steinbichler anschauen. Dadurch erfährt man viel über die "Winterreise", er erklärt eine Menge, driftet auch öfter von den einzelnen Szenen zum Gesamtwerk ab, was ebenfalls interessant ist. An weiteren Extras bietet die DVD ein Making Of mit Interviews von allen Beteiligten außer Bierbichler, was ein wenig verwundert, weiterhin kann man der Entstehung einer Szene beiwohnen, eine recht kurze Fotostrecke und einen Trailer anschauen und sich die Biografien der Beteiligten durchlesen. Außerdem versetzt sich Philipp Hochmair, der Brenningers Sohn spielt, in seine Rolle als Baumarkt-Filialleiter, was nicht ganz so lustig ist, wie es wohl gedacht war.

Der Film ist wertvoll als Charakterstudie und sehr schön erzählt. Eine gelungene Inszenierung um diesen hervorragenden Schauspieler Bierbichler herum, der alle Facetten eines manisch depressiven Unsympathen und seinen Weg heraus aus sich selbst leidenschaftlich und nachvollziehbar darstellt. Sehr empfehlenswert, aber er hinterlässt eine etwas traurige Stimmung und das Bedürfnis, nachher mit irgendwem darüber zu reden.

Stefan Knopp



DVD | Disc-Anzahl: 1 | Erschienen: 1. Oktober 2007 | FSK: 12 | Laufzeit: 95 Minuten | Preis: 18,95 Euro | Untertitel verfügbar in: Deutsch für Hörgeschädigte | Verfügbare Sprachen: Deutsch

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