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Der Bevölkerungswissenschaftler und Völkermordforscher Gunnar Heinsohn ist bekannt für die oft überraschenden und provozierenden Einsichten, zu denen er gelangt, indem er historische, politikwissenschaftliche und soziologische Themen aus demographischer (= bevölkerungswissenschaftlicher) Sicht analysiert.
In "Söhne und Weltmacht" entwickelt er die These, dass Gesellschaften umso gewalttätiger werden, je größer der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung ist. Die Faustregel lautet, dass mit erheblichen Konflikten zu rechnen ist, sobald der Anteil der 15-24-jährigen über zwanzig Prozent beziehungsweise der 0-15-jährigen über dreißig Prozent liegt. Bei einem solchen "youth bulge", wie er im Fachjargon heißt, ist nämlich die Anzahl junger Männer deutlich größer als die Anzahl der Väter, deren Positionen übernommen werden können. Der Kampf um solche Positionen ist dann die natürliche Folge.
Dieser Kampf kann in verschiedenen Formen stattfinden, die einander keineswegs ausschließen, sondern oft gleichzeitig und in Verbindung miteinander auftreten: Auswanderung, Eroberungskrieg, Völkermord, politischer Extremismus (Terrorismus, Bürgerkrieg, Revolution), massenhafte Gewaltkriminalität.
Der Autor führt dafür zahlreiche historische Beispiele an. Er zeigt auch auf, dass von den aktuell (2003) 67 Nationen, die einen "youth bulge" aufweisen, nicht weniger als sechzig (!) von Massengewalt in wenigstens einer der genannten Formen betroffen sind. Heinsohn geht davon aus, dass dieses Problem bis etwa 2025 die Weltpolitik prägen und auch den Westen mit erheblichen Gefahren konfrontieren wird. Der Höhepunkt des Jugendanteils weltweit ist, so Heinsohn, zur Zeit erreicht. Aufgrund sinkender Geburtenraten ist ab etwa 2025 mit einer zunehmenden Entspannung zu rechnen, und spätestens ab 2050 dürften "youth-bulge"-induzierte Konflikte der Vergangenheit angehören.
"Youth-bulge"-befeuerte Völker sind ungemein konfliktbereit und -fähig, weil sie über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Kriegern verfügen, die als zweite, dritte und vierte Söhne ihrer Familien entbehrlich sind, während stagnierende oder schrumpfende Nationen (also nahezu alle westlichen) mit dem Leben ihrer Soldaten so schonend wie möglich umgehen müssen. Im direkten Konflikt drohen kriegführende westliche Staaten die Unterstützung der eigenen Bevölkerung zu verlieren, weil sie vor dem Dilemma stehen, entweder zu viele eigene Soldaten opfern oder, um dem zu entgehen, zu viele Zivilisten der Gegenseite töten zu müssen.
Eine realistische westliche Strategie besteht nach Heinsohn unter diesen Umständen darin, sich erstens auf Konflikte mit "Youth-bulge"-Nationen dann - aber nur dann! - einzulassen, wenn es zwingend (!) erforderlich ist; zweitens verstärkte Einwanderung aus diesen Ländern zuzulassen; drittens darauf zu setzen, gegebenenfalls auch dafür zu sorgen, dass die überzähligen Krieger dieser Länder sich in internen Konflikten gegenseitig töten, statt die westliche Welt zu bedrohen.
So zynisch und unmenschlich diese Konsequenz anmuten mag: Ihr ist kaum zu entgehen, sofern Heinsohns Prämissen zutreffen - wofür einiges spricht. Überhaupt besticht die Analyse durch ihren ungeschminkten Realismus nicht weniger als durch die pointierte, gut lesbare Sprache, in der sie vorgetragen wird. Der Autor entwickelt eine These von weitreichender Erklärungskraft auf erfrischenderweise weniger als 160 Textseiten und verschafft seinem Leser eine Fülle von Aha-Erlebnissen gerade dadurch, dass er sich konsequent auf eine einzige Erklärungsvariable - die Altersstruktur von Bevölkerungen - konzentriert.
Zu warnen ist freilich vor der Verführungskraft solch monokausaler Theorien: Wer durch die Brille des Demographen blickt, erkennt zweifellos vieles, was ihm sonst entgangen wäre; er sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, alles andere sei deswegen irrelevant. Wo alles Demographie ist - und das ist bei Heinsohn der Fall, ungefähr so, wie bei Marx alles Klassenkampf war - schrumpft Soziologie schnell zur bloßen Rechenaufgabe. Dies allerdings ist weniger eine Kritik an der Theorie als eine Warnung davor, sie leichtfertig zu verabsolutieren. Heinsohns Einsichten sind so wegweisend und zentral, dass man gar nicht erst versuchen sollte, an ihnen vorbeizukommen. Für jeden, der sich über die politischen Krisen und Katastrophen unserer Welt kompetent äußern will, ist dieses Buch ein Muss!