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Geschichten und Romane, in denen junge Heranwachsende im Mittelpunkt stehen, haben eine lange Tradition. Besonders im fantastischen Genre wenden sich Autoren jeglicher Couleur gerne dem "Coming of Age" zu. Stellvertretend seien hier nur Ray Bradbury ("Das Böse kommt auf leisen Sohlen", 1962), Stephen King ("Es", 1986) oder Robert R. McCammon ("Unschuld und Unheil", 1992) genannt. Insofern kann Stefan Melneczuk auf durchaus prominente Vorgänger zurückblicken. Doch einfacher wird es für ihn dadurch auch nicht unbedingt, ist der Unterschied zwischen sentimental-traurigem Rückblick und unglaubwürdigem Kitsch oftmals nur hauchdünn.
Mit seinem ersten Roman entführt uns Autor Melneczuk zurück in den Sommer des Jahres 1984. Es ist die Zeit von Bonanza-Fahrrädern, Fußballsammelbildern, Ausflügen ins Schwimmbad und der ersten Liebe. Eine unbeschwerte Zeit also für Roland, David, Thomas und Sonja, die eine praktisch unzertrennliche Einheit bilden. Mit dem Auftauchen des schüchternen Marc ändert sich jedoch alles. Dieser wünscht sich nämlich nichts sehnlicher, als in die Clique aufgenommen zu werden. Doch zuvor muss Marc eine Mutprobe bestehen. Gefesselt am "Marterpfahl", einer rostigen Eisenstange, die sich in einem alten Stollen befindet. Doch es soll anders kommen, als nach einem schweren Unwetter der Eingang zum Stollen verschüttet wird ...
Zwanzig Jahre später. Noch immer werden die Freunde von einst von ihren Schuldgefühlen geplagt und verfolgt. Trost und Vergessen werden entweder durch Tagebucheinträge, das Schreiben dunkler Geschichten oder den Alkohol erzwungen. Doch die schrecklichen Ereignisse lassen sich nicht verdrängen. Und als Roland, David und Thomas vom Unfalltod Sonjas erfahren, bleibt ihnen gar keine andere Wahl, als sich ihnen zu stellen. Denn noch immer wartet der gefesselte Marc auf seine Erlösung ...
"SchreibÂ’ über das, was du kennst!", lautet ein häufig gewählter Ratschlag an (meist) zukünftige Schriftsteller. Stefan Melneczuk scheint sich bei seiner Arbeit an "Marterpfahl - Sommer der Indianer" an diesen Vorschlag erinnert zu haben und beherzigt ihn auf fast schon akribisch zu bezeichnende Art und Weise. Mit Erfolg: Seine Rückblenden wirken keineswegs aufgesetzt oder unglaubhaft, sondern überzeugen auf ganzer Linie. Lokalkolorit sorgt zudem für zusätzliches Flair. Doch Melneczuk verlässt sich nicht nur auf Vergangenes, sondern punktet durch konstant steigende Spannung inklusive überraschender Wendungen, einer großartigen Atmosphäre, glaubhafter und vielschichtiger Hauptfiguren sowie eines makellosen Schreibstils, der den Leser sofort in seinen Bann zieht und erst wieder nach Beendigung der letzten Seite loslässt. Hier ist kein Wort zu viel und keine Erklärung überflüssig oder langatmig. Insofern braucht sich "Marterpfahl - Sommer der Indianer" keinesfalls hinter den Werken der internationalen Konkurrenz zu verstecken und stellt zweifelsfrei einen der besten deutschen Mystery-Thriller-Romane seit langer Zeit dar.