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Zwei große Namen treffen bei "MIDGARD - Das Brettspiel" aufeinander: Midgard und Lutz Stepponat. Mit "Midgard - Das Fantasy-Rollenspiel" erschien 1981 sowohl das erste deutsche Rollenspiel als auch das erste Rollenspiel in deutscher Sprache überhaupt. Seitdem hat es eine treue Fanbasis und behauptet sich seit über 25 Jahren auf dem deutschen Markt. Da verwundert es nicht, dass die Idee nach einer Umsetzung als Brettspiel aufkam. Und wer wäre besser dafür geeignet als Lutz Stepponat, Rollenspieler und Midgard-Fan der ersten Tage und Erfinder des Fantasy-Brettspiel-Klassikers "Die Rückkehr der Helden"? Zunächst war geplant, das Spiel erst dann in Fabrikation zu geben, wenn 500 Vorbestellungen vorhanden seien, aber dieser Plan wurde fallen gelassen. Lutz Stepponat hat extra einen eigenen Verlag gegründet, um das Spiel veröffentlichen zu können.
"MIDGARD - Das Brettspiel" basiert auf dem Midgard-Rollenspiel und dessen Kenntnis ist aus mehreren Gründen zwar vorteilhaft, aber nicht unbedingt notwendig. Kurz gesagt geht es in dem Spiel darum, dass die Figuren in den Städten Gegenstände organisieren, um diese dann in anderen Städten gegen Gold und Erfahrungspunkte einzulösen; später gibt es dafür auch Schätze und Belohnungen. Misserfolge können zum Besuch des Gefängnisturms führen oder zu unliebsamen Begegnungen mit Bestien. Das Spiel bietet die Möglichkeit zum kooperativen Spiel, denn in der Gruppe ist das Lösen von Aufgaben einfacher; gewinnen kann am Ende aber nur einer der Spieler. Die Möglichkeit, dass eine Figur eine andere bestehlen und bekämpfen kann, mag in manchen Gruppen zu Problemen führen. Einerseits ermöglicht dies eine differenziertere Strategie, widerspricht aber auch etwas dem kooperativen Spiel. Geeignet ist das Spiel laut Verlagsangabe für drei bis fünf Spieler ab 12 Jahre, wobei eine Runde 90 bis 120 Minuten dauern soll. Weder Solo-Runden noch ein Spiel zu zweit sind möglich beziehungsweise sinnvoll.
Vor dem ersten Spiel müssen erst einmal Dutzende von kleinen Teilen aus der Stanzung genommen werden, was einige Zeit in Anspruch nimmt; der Spielaufbau an sich kostet dann leicht noch mal die gleiche Zeit. Die Spielanleitung ist recht kurz gehalten, leider bleiben jedoch viele Dinge unklar, was mindestens im ersten Spiel zu viel Frust führt. Die Anleitung ist der größte Schwachpunkt des Spiels. Sie beinhaltet keinen Index, ist überhaupt sehr unglücklich aufgebaut und lässt wie schon erwähnt diverse Dinge im Unklaren. Ohne Lektüre der Errata auf der Verlagshomepage, den Erklärungen im entsprechenden Thread im Midgard-Forum und ständigem Nachschlagen in der Anleitung wären die Testspiele unmöglich gewesen. Frühe Käufer hatten mit dem Problem zu kämpfen, dass ein wichtiges Erratum dem Spiel nicht beilag. Es gibt zwar für jeden Spieler eine Spielübersicht, leider jedoch keine allgemeine für den eigentlichen Spielablauf. Insgesamt kann das alles leicht dazu führen, dass das Spiel voller Frust in den Schrank wandert und dort zukünftig verstaubt.
Die empfohlene Startaufstellung der zwölf Städtekarten ist problematisch, denn sie sind durchnummeriert und die Aufstellung würfelt die Zahlen wild durcheinander, was gerade im ersten Spiel zu unnötigem Suchen führt. Andere Startaufstellungen sind zwar möglich, aber gerade für die empfohlene erste Startaufstellung wäre ein nach Zahlen sortierter Aufbau sinnvoll gewesen, denn die Gegenstände müssen in bezifferte Städte gebracht werden. Die Städtekarten zeigen die Stadttore von Städten auf Midgard, die Zeichnungen sind wirklich gut gelungen und geben deren Atmoshphäre gut wieder.
Der Spieltisch sollte nicht zu klein sein, denn rund um die Städtekarten werden die diversen Spielmaterialien verteilt, je nach Sortierung und Zählweise bis zu zwanzig Stapel. Außerdem müssen bis zu fünf Datenblätter ihren Platz finden und die beiden Würfel gerollt werden können. Zur Verfügung stehen fünf Abenteurertypen: Barde, Krieger, Magier, Spitzbube und Priester. Auf den Datenblättern sind Vorder- und Rückseite jeweils mit männlichen und weiblichen Figuren bedruckt, zusätzlich gibt es Blankokarten für Eigenkreationen. Ebenfalls gibt es passende Spielfiguren, die auf die Stadtkarten gestellt werden. Die Zeichnungen stammen überwiegend aus Midgard-Publikationen, weshalb sie auch passend sind, nur der Priester und die Priesterin sehen arg untypisch aus. Die Abenteurer verfügen über die drei Eigenschaften Gewandtheit, Intelligenz und Stärke, je nach Abenteurertyp in verschiedener Höhe, männliche und weibliche Charaktere der gleichen Klasse unterscheiden sich nicht. Weiterhin gibt es einen Angriffs-, Zauber- und Abwehrwert; zusätzlich ist die Höhe des Schadens festgelegt, den ein Angriff macht.
Gegenstände, Fertigkeiten, Rüstung, Zaubersprüche und Gold werden an die Datenblätter angelegt. Erfahrungspunkte und Lebensmarker in Form von Herzchen finden auf ihnen Platz. Eigenschaftswerte können sich ändern, was über kleine Holzplättchen mit Zahlen dargestellt werden kann.
Beim Spielstart bekommt jede Figur passend zum Abenteurertyp eine Fertigkeitskarte und einen Gegenstand, dazu gibt es ein Goldstück und vier Aktionskarten. Mit den Aktionskarten wird unter anderem bestimmt, wie viele Aktionen eine Figur während ihres Zuges machen kann. Auf den Stadtkarten werden festgelegte Marken und Schätze offen hingelegt, zufällige Marken bleiben verdeckt. Die festgelegten Marken müssen zu bestimmten Stadtkarten gebracht werden. Um einen Gegenstand oder eine Person in Form einer Marke zu bekommen, muss man Prüfwürfe auf eine oder zwei Eigenschaften bestehen. Der Spieler zur Linken übernimmt die Rolle des alten Besitzers der Marke und macht einen Wurf dagegen, der jeweilige Wert ist auf dem Chip angegeben. Dazu wird jeweils das Ergebnis eines zwanzigseitigen Würfels (W20) gezählt, analog zum Vorgehen im Rollenspiel, Spieler desselbigen werden das Prinzip also wiedererkennen. Gelingt die Aktion, bekommt man die Marke, misslingt sie, bekommt der Spieler eine Schicksalskarte, die unterschiedliche Dinge bewirken kann, zum Beispiel einen Kampf gegen einen Wächter. Kämpfe werden ebenfalls mit einem W20-Wurf geregelt, zu dem der Angriffs- beziehungsweise Abwehrwert gezählt wird. Ist das Ergebnis des Angriffswurfes höher als das der Abwehr, ist Schaden erfolgt. Die verdeckten Karten bringen Gegenstände, aber auch Kämpfe, der Erwerb wird analog zu den verdeckten Karten durchgeführt.
Wer die zweite Marke einer Stadtkarte abliefert, bekommt einen Schatz, wobei eine Abenteuerkarte ins Spiel kommt. Die Abenteuer bestehen aus drei Aufgaben und einem Endgegner, bestimmte Gegenstände helfen bei der Lösung. Die Abenteuer können alleine oder zu mehreren erledigt werden, wobei die Figur, die das Abenteuer startet, im Falle des Erfolges die Verteilung der Belohnung bestimmt. Die Abenteuer wurden nach Abenteuern des Rollenspiel-Systems benannt, das Auftauchen der jeweiligen Endgegner mag daher manchem Spielleiter nicht gefallen, dessen Gruppe das Abenteuer noch vor sich hat. Wird ein Abenteuer geschafft, kommt ein Schatten ins Spiel, der eine Stadtkarte blockt, sofern man keine Sondermöglichkeiten gegen ihn einsetzen kann. Im Kampf kann er wie auch andere Gegner jedoch besiegt werden.
Mit Goldstücken und der Aufwendung von Aktionen können diverse Dinge gekauft oder gesteigert werden. Belohnungskarten gibt es für ein bestandenes Abenteuer, einen besiegten Schatten oder eine besiegte Kreatur, die unter einer zufälligen Marke verborgen war. Erfahrungspunkte gibt es für die Abgabe einer festgelegten Marke, den Sieg über einen Wächter, das Bestehen eines Abenteuers, der Erfüllung einer Abenteueraufgabe und dem Sieg über einen Schatten. Gewonnen hat der Spieler, der zuerst fünf Prestigepunkte zusammen hat, diese können durch verschiedene Dinge erworben werden, zum Beispiel durch Schätze und Artefakte, Siege über Schatten, nach einem schweren Abenteuer und durch das erstmalige Erreichen eines neuen Grades oder hohen Eigenschaftswertes.
Das Thema Rollenspiel wurde gut in das Brettspiel umgesetzt, Midgard-Rollenspieler finden sich schnell in den generellen Ablauf ein. Die Unterschiedlichkeit der Abenteurertypen birgt die Gefahr des Spielungleichgewichtes, führt aber auch zu mehr Abwechslung. Grafisch weiß das Spiel zu begeistern, ebenso in der Vielfalt der Möglichkeiten die verschiedenen Aufgaben zu meistern. Die Möglichkeit zur Fertigkeitssteigerung ist klasse und das Spiel beherbergt auch sonst viele an sich gute Ideen. Zur letztlich dann doch nur durchschnittlichen Wertung kommt es aus mehreren Gründen. Hauptkritikpunkt ist die Anleitung, der Verlag sollte wirklich eine überarbeitete Fassung online stellen. Das Spiel erfordert durch die offenen Fragen eine hohe Frusttoleranz. Viele Testrunden wurden durch die Diskussionen zu den Regelfragen in die Länge gezogen und dann aus Zeitmangel vorzeitig nach drei bis vier Stunden Spieldauer abgebrochen. Erst nach diversen Runden kam es bei einer Partie zu einem richtigen Ende, wenn auch erst nach drei Stunden. Die guten Ideen wurden nicht immer gut umgesetzt und auch insgesamt wirkt das Spiel noch nicht ganz ausgereizt. Der Spielfluss wird außerdem unterbrochen, wenn ein Spieler eine Karte aus einem Stapel frei wählen darf, denn alle müssen ja begutachtet werden und eine ausgesucht. Erst in späteren Runden wird dieser Faktor abgemildert. Falsche Beschriftungen lassen vermuten, dass das Spiel mit Gewalt zur Spielemesse 2007 fertig gestellt werden musste. Das Spiel erfordert Einarbeitungszeit und den Willen, offene Fragen per Hausregel zu beantworten.
Es gibt Spiele, in die man schnell hinein findet und nach mehreren Runden neue Optionen und Strategien entdeckt. Obwohl der Grundmechanismus bei "MIDGARD - Das Brettspiel" eigentlich ziemlich einfach ist, findet man nur schwer hinein, was auch an der erwähnten mangelhaften Spielanleitung liegt. Erst nach mehreren Runden entwickelt man überhaupt eine gezielte Strategie. Ein weiteres Problem ist, dass gerade Anfänger oft erst einmal wenig kooperativ spielen, was den Spielablauf behindert. Angesichts der starken Konkurrenz auf dem Spielemarkt kann das Spiel nur bedingt überzeugen und daher auch nur bedingt empfohlen werden. Eigentlich schade, denn es hätte Potenzial gehabt.