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Ariel Manto ist chronisch pleite, bewohnt eine unterkühlte Bruchbude, ist Doktorandin an einer englischen Universität und hat es nicht leicht mit ihrer Dissertation zum Thema "Gedankenexperimente", denn die Quellenlage ist mehr als katastrophal. Gerade über den Autor Thomas Lumas, der sie am meisten fasziniert, existiert nur sehr wenig Literatur. Und ausgerechnet um LumasÂ’ bedeutendstes Werk, das den Titel "The End of Mr. Y" trägt, ranken sich unheimliche Gerüchte: Ein Fluch soll auf dem Buch liegen, der jeden, der es liest, letztendlich tötet. Ariel hat zunächst keine Gelegenheit, die Wahrheit über dieses Gerücht herauszufinden, denn "The End of Mr. Y" ist praktisch nicht aufzutreiben, es existieren weltweit nur wenige Exemplare, die nicht einsehbar sind. Und damit nicht genug: Seit einigen Monaten ist Ariels Doktorvater spurlos verschwunden.
Ein
Zufall führt Ariel eines Tages in ein Antiquariat, und zu ihrem absoluten Erstaunen findet sie dort ein gut erhaltenes Exemplar von "The End of Mr. Y". Ungeachtet des angeblichen Fluchs beginnt die junge Frau das Buch zu lesen und entdeckt Erstaunliches: Der Protagonist des Romans, Mr. Y, kann mit einem Elixier in die so genannte Troposphäre, die Gedankenwelt der Menschen, reisen. Ist LumasÂ’ faszinierende Geschichte Fiktion oder Realität? Es gelingt Ariel, das Elixier herzustellen und sich tatsächlich in die Troposphäre zu versetzen. Fortan ist sie besessen vom Aufenthalt in der merkwürdigen, gleichzeitig faszinierenden und schrecklichen Traumwelt - doch dort lauern erhebliche Gefahren. Als Ariel das Wesen der Troposphäre begreift, ist es fast zu spät ...
Was für ein Buch! Das Werk der britischen Autorin Scarlett Thomas - das erste, das ins Deutsche übersetzt wurde - ist selbst ein Gedankenexperiment, eine Reise in das Bewusstsein von Menschen und Tieren, ein Wagnis. "Troposphere" ist komplex, philosophisch, surrealistisch und über weite Strecken ziemlich ergreifend. Thomas hat die schwierige Aufgabe, eine spannende Geschichte mit wissenschaftlichen Ausführungen zu vermischen, erstaunlich virtuos gemeistert. Der Roman fordert teilweise sehr viel Aufmerksamkeit, führt den Leser ein in Einsteins Relativitätstheorie, in die Quantenphysik, macht Schlenker zur Urknalltheorie, zur Schöpfung des Universums, reißt das Wesen der Homöopathie an - und wird dennoch nie zur trockenen Lehrstunde. Allerdings sollte man sich prinzipiell für Philosophie und Naturwissenschaft interessieren, für Schrödingers Katze und Heideggers Definition des Bewusstseins, denn die kleinen Exkurse, die man gemeinsam mit der Protagonistin Ariel Manto unternimmt, nehmen einen größeren Teil der Handlung ein und sind wichtig für das Verständnis der Zusammenhänge.
Der Anfang der Geschichte, der Bericht über die Umstände, wie Ariel an das Buch gelangt, und Mr. Ys geschilderte Odyssee erinnern sogar ein wenig an Paul Auster, sowohl von der Erzählweise als auch vom Inhalt - auch Auster bedient sich viel und gerne des Verwirrspiels "Buch im Buch". Ariel Manto ist eine großartige, vielschichtige Protagonistin, klug und mutig, aber stets innerlich zerrissen, stets suchend und zweifelnd, am Rande eines Abgrunds.
Fazit: "Troposphere" ist ein interessanter und kaum vorhersehbarer Roman für alle, die sich gerne mit den Gedankenkonstrukten der Philosophie und Wissenschaft beschäftigen und gleichzeitig eine spannende, außergewöhnliche Geschichte suchen. Der Leser sollte allerdings ein gewisses Maß an Offenheit für das Außergewöhnliche, das Abgedrehte und Surreale mitbringen - "Troposphere" ist kein Wissenschaftsthriller, keine Science-Fiction, kein Selbstfindungsroman und keine Drogenfantasie, sondern vielmehr eine gewagte Mischung von vielen Elementen und Ideen. Wer sich auf diese Reise in die Troposphäre begibt, wird auf jeden Fall zum Nachdenken angeregt; das Buch wirkt über weite Strecken wie eine zwar etwas anstrengende, aber sehr anregende Übung für das eigene Gehirn.