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Während Simon Schneelocke - die Begegnung mit dem Drachen hat ihm zu diesem Ehrentitel verholfen - bei den Trollen verweilt und mit gemischten Gefühlen dem Prozess entgegenfiebert, der seinem Freund Binabik gemacht werden wird, breitet sich in ganz Osten Ard der Winter aus. Die Macht der Nornenkönigin Utukku und des von ihr heraufbeschworenen Ineluki hat dank des Magiers Pyrates und des von ihm beherrschten Hochkönigs Elias gefährlich zugenommen. Alle freien Völker Osten Ards sind bedroht und nirgends scheint es eine sichere Zuflucht zu geben.
Josua Ohnehand versucht, mit wenigen Getreuen den Abschiedstein zu erreichen, einen heiligen Ort, der von den Sithi wie den Nornen ebenso verehrt wie gemieden wird. Doch seine Reise findet in den Weiten der Thrithinge ein Ende. Der Mark-Than Fikolmij fordert von Josua Genugtuung für seine entehrte Tochter.
Auch Miriamel versucht, aus dem Machtbereich ihres Vaters Elias zu entkommen. Sie ist mit dem Mönch Cadrach auf der Flucht, gerät jedoch in die Gefangenschaft von Graf Aspitis. Einem gleichermaßen schönen wie skrupellosen Mann, der die Tochter des Hochkönigs für eigene Zwecke missbrauchen will.
Derweil begegnet Herzog Isgrimnur, der Miriamel vergebens sucht, dem Wranna Tiamak, einem Freund des ermordeten Morgenes und wie der Kenner und Bewahrer der alten Schriften.
Auch in der Mark der Hernystiri, die ebenfalls von Elias in einem gnadenlosen Kampf erobert wird, regt sich noch Wiederstand. Prinzessin Maegwin versteckt sich mit ihrem Volk in den Höhlen ihrer Vorväter und entdeckt dort eine uralte unterirdische Stadt der Sithi.
Doch entscheidender Machtfaktor gegen die Pläne der Nornenkönigin und des Untoten Ineluki bleiben die Sithi. Die aber wollen sich nicht für die Menschen und für Josua Ohnehand entscheiden. Sie bleiben neutral und bieten einzig Simon Obdach. Dessen Freundschaft mit Jiriki kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Sithi abwartend verhalten. Sie wollen nicht mit ihrem Schwestervolk, den Nornen, Krieg führen. Da erschüttert ein brutaler Doppelmord die Sithi und stellt deren bisherige Haltung in Frage.
Was für ein Buch. Diese von Fans Tad Williams lang ersehnte Fortsetzung von "Der Drachenbeinthron" vereint klassische Fantasy mit der überbordenden Fantasy eines modernen Autoren. Und entgegen dem ersten Band, der seine Längen aufwies, geht es in "Der Abschiedsstein" sofort recht hektisch los. Immer mehr Figuren werden in die Geschichte eingeflochten, immer unübersichtlicher wird die Handlung.
Dabei kann es den Leser schon zur Verzweiflung bringen, wenn er mehr als hundert Seiten nicht mehr von "seinem" Helden erfährt. Dieses "auf die Folter spannen" weitet Williams in diesem Band fast zur Qual aus. Immer wieder werden Handlungsstränge dazwischen geschoben, die man eigentlich für unwichtig hält oder deren Figuren man nicht leiden kann.
Doch neben der diffuser werdenden Handlung hat man das gesamte Buch über das Gefühl, das Ziel der Reise sei nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum großen Finale. Irgendwie fällt es nicht leicht, dem Autor dorthin zu folgen. Zu viele Handlungen sind verwoben, zu unbestimmt die Rolle jedes Einzelnen.
Ganz im Gegensatz zu üblicher Fantasy macht sich der Eindruck einer wirklichen, riesigen Welt im Leser breit, die neben wichtigen und zentralen Figuren auch unwichtige, nebensächliche Orte und Geschehnisse enthält. Williams aber lässt diese nicht aus oder drängt sie an den Rand, sondern gibt ihnen den gleichen Raum wie den vermeintlich wichtigen. Er erzielt damit einen nicht zu unterschätzenden Effekt: Er macht die Welt real und lässt es zu, dass man sich in Osten Ard zu Hause fühlt.
In diesem Sinn verbietet sich ein Vergleich mit Tolkien. Dieser hat zwar eine grandiose, aber eher unwirkliche Welt erschaffen. Seine Wesen bevölkern eine Erde aus grauer Vorzeit und handeln gemäß ihrem Schicksal. Seine Helden sind übergroß, seine Frauen Staffage. Williams macht nie einen Hehl daraus, von Tolkien beeinflusst worden zu sein, viele seiner Wesen scheinen aus Mittelerde zu Besuch zu sein. Doch seine Welt ist realer und der Wirklichkeit näher als die Tolkiens, wird von einfachen Menschen bewohnt, die zweifeln, scheitern und sterben können. Seine Fantasy ist viel näher am Leser und nicht so kalt und abgehoben, wie "Der Herr der Ringe" manchmal ist.
Wer Tad Williams noch nicht kennt, sollte sich die vier Bücher über Osten Ard unbedingt einmal ansehen. Fast viertausend Seiten beste Unterhaltung ist garantiert. Und wer sich durch den "Drachenbeinthron" durchgekämpft hat und eher Langeweile denn Spannung gefunden hat, muss es mit "Der Abschiedsstein" unbedingt noch einmal versuchen. Hier wird an Spannung und Handlung fast schon zuviel geboten.
Das unbegreiflichste aber ist die aktuelle Verlagspolitik. Einen solchen modernen Klassiker der Fantasy-Literatur eines Autors von Weltrang nicht permanent im Angebot zu haben ist schon fast ein Armutszeugnis - vermutlich aber nicht von Dauer.