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"Damals hatte er vier Semester Studienzeit am Danziger Polytechnikum hinter sich (
)" Dies ist einer von vielen Sätzen in dem Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann. Dessen Hauptfigur, Hans Castorp, studierte Schiffbautechnik, bevor er mehrere Jahre freiwillig in einem Sanatorium für Tuberkulosekranke verbringt. Soweit ist die Geschichte bekannt. Über Castorps zwei in Danzig verlebte Jahre erfahren wir weiter nichts, eben nur, dass er sich dort zu Studienzwecken aufhielt. Diese kleine Anspielung nahm der polnische Starautor Pawel Huelle zum Anlass, um ein ganz eigenes Buch zu schreiben, in dem er sich ganz den zwei verlorenen Danziger Jahren Castorps widmet.
Allen Warnungen seines Onkels Tienappels zum Trotz begibt sich Hans Castorp im Herbst des Jahres 1904 von Hamburg nach Danzig, um sein Studium aufzunehmen. All den negativen Äußerungen über die östlichen Nachbarn, die ihm überall entgegenschlagen, wenn er seine Studienabsichten offen legt, mag er ungern glauben. In Danzig angelangt, kommen dem jungen Studenten bald die ersten Zweifel. Obschon dieser Ort Vertrautheit ausstrahlt mit seiner für Hansestädte so typischen Architektur, fühlt sich Castorp dennoch fremd. Gleich zu Beginn ereignen sich eine Reihe von ärgerlichen Zwischenfällen, die Castorp sein Unternehmen fast bereuen lassen. Der Schaffner in der Straßenbahn macht sich einen Spaß daraus ihn falsch zu verstehen, sein Gepäck scheint auf dem Weg zu seiner Unterkunft verloren, er wird Zeuge militärischer Brutalität in einer Kaserne und seine Wirtin und ihr Dienstmädchen entpuppen sich als äußerst aufdringliche und unangenehme Zeitgenossen. Zu allem Überfluss kann er in der ganzen Stadt seine Lieblingszigarrenmarke nicht finden.
Das einsetzende Heimweh ist jedoch schnell überwunden. Das Studium und Castorps disziplinierter Tagesablauf bringen wieder eine beruhigende Regelmäßigkeit in sein Leben und erleichtern ihm die Eingewöhnung. Die anfänglichen Berührungsängste schwinden, Castorp beginnt Stadt und Leute zu erkunden und mit ihm der Leser. Man merkt schnell, dass Huelle aus Danzig stammt und diese Stadt ins Herz geschlossen hat. Gerne lässt man sich zusammen mit der Hauptfigur an die verschiedenen Orte der alten Hansestadt entführen, die mit einer fast schon schläfrigen Gemütlichkeit geschildert werden, und gerade dadurch nie an Reiz verlieren. Gleich der Hauptfigur durchzieht den Roman eine angenehm melancholische Grundstimmung, die dann und wann durch eine ironische Leichtigkeit aufgelockert wird und den Leser die Atmosphäre des historischen Danzig förmlich nachempfinden lässt. Zu gern würde man dieses Buch in einem der vielen Cafés des heutigen Danzig lesen und nach der Lektüre durch die Straßen schlendern, in der Hoffnung eine der vielen Kleinigkeiten, für die sich der Autor Zeit genommen hat, wieder zu finden. Man braucht "Der Zauberberg" nicht gelesen zu haben, um sich von diesem kleinen Büchlein fesseln zu lassen. Doch nach dem Lesen wird man unweigerlich den Drang verspüren, Thomas Manns Roman hervorzuholen, sei es um ein Versäumnis nachzuholen oder um einfach noch einmal in der vertrauten Geschichte zu schmökern.