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Casteldefels, ein Ort an der katalanischen Küste. Hinter dem sonnigen Spanien der Touristen gehören auch Probleme mit der ETA, Drogenmafia, Mädchenhandel und Prostitution zum Tagesgeschehen in Spanien.
Vor diesem Hintergrund lebt der Polizist Raúl Fuentes. Er ist dreißig Jahre alt und gerade von Dienst und Gehalt suspendiert worden. Der cholerische Alkoholiker ist es gewohnt die Dinge auf seine eigene Art zu regeln, das heißt kaltblütig und brutal, und das geht nicht immer gut. Und als er dem Enkel eines Mafiabosses das Genick bricht, ist dies ein Missgeschick zu viel. Nun macht Raúl sich auf den Weg zu seinem Elternhaus, zu dem er seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Dort lebt sein Zwillingsbruder Valentín, der seit seiner Geburt an einer geistigen Behinderung leidet.
Valentín arbeitet als Laufbursche in dem Animierclub Lolitas, backt dort für die Mädchen Pizza und süße Kringel und besorgt Nagellack und Kondome im Supermarkt. Äußerlich gleichen sich die beiden Brüder zwar, aber sonst könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Ebenfalls im Haus lebt der Vater José, ein ehemaliger Widerstandskämpfer, der jetzt einen Reitstall betreibt und für den die Freiheit das höchste Ideal darstellt. Mit ihm seine zweite Frau Olga, eine osteuropäische Immigrantin, die einst die Geliebte von Raúl war. Josés erste Frau und Mutter der Zwillinge hat die Familie verlassen, als diese noch Kinder waren, um als Prostituierte zu arbeiten. Hier erscheint nun Raúl und versucht Valentín aus dem verruchten Club zu holen, da die anderen die Gefahren, die dort lauern, offensichtlich nicht richtig einzuschätzen wissen.
Dieses Buch ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite und dabei noch großartig erzählt und meisterhaft erdacht!
Marsé schildert ein Porträt des modernen Spanien, das die Probleme der Immigration und des Mädchenhandels ebenso zeigt wie Terrorismus und Drogenhandel. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, durchbrochen von Erinnerungssplittern, Bewusstseinsinhalten und Träumen der Protagonisten, in denen Realität und Phantasie sich mischen. Der spanische Schriftsteller Juan Marsé, der 1933 in Barcelona geboren wurde, hat das Buch ursprünglich als Drehbuch geschrieben. Es ist dann, Gott sei Dank!, als Roman erschienen und Ende 2007 doch noch als Film veröffentlicht worden.
Ein so alltägliches schmutziges Geschehen und doch irgendwo auch eine so außergewöhnliche Geschichte.
Da ist der behinderte Valentín, der ein kleines Glück in einem Animier-Club findet und sich dort bei den Lolitas nützlich macht und auf seine Art akzeptiert wird. In dieses fragile Idyll bricht dann der Bruder ein. Und man fragt sich, geht es ihm tatsächlich darum, dem Bruder zu helfen, diesen vor Ausbeutung und Ausnutzung zu retten, oder will er sich in erster Linie von seinem eigenen Elend ablenken? Marsé versteht es bei alldem, den Leser in atemlose Spannung zu versetzen ob der brachialen und unberechenbaren Interventionen Raúls.
Raúl, ein Macho, für den Frauen nicht mehr als Körper sind, die man benutzt. Ein Mensch auf dem stetigen und nicht aufzuhaltenden Weg nach unten. Verzweifelt und einsam, unfähig, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Jemand, der am liebsten gleich "auf die Fresse haut". Er geht zu den Huren, um diese zu erniedrigen, zum Spannungsabbau und um sich selbst zu beweisen, dass er die Kontrolle hat. Der Hass auf die Mutter, für das Verlassenwerten, wird an allen späteren Frauen abreagiert. Aber irgendwo blitzt auch schon sehr früh durch die harte Schale des
lonesome Cowboy ein Streifen Menschlichkeit und Schwäche, die dann darin gipfelt, dass er völlig abhängig wird von einem der Mädchen und sich selbst verliert.
Sein Bruder Valentín will helfen, retten und verliebt sich in die junge kolumbianische Prostituierte Milena. Die beiden haben ihre ganz eigene Beziehung zueinander, von der beide profitieren, und er spart, um die Schulden des Mädchens abzuzahlen.
Ein möglicher Sinn ergibt sich, wenn man die Geschichte vor dem Hintergrund sieht, dass beide früh von der Mutter, einer Prostituierten, verlassen wurden. Dies lässt viele Deutungsmöglichkeiten zu. Handelt es sich um einen Ödipuskomplex, die verbotene Vereinigung mit der Mutter? Oder den vergeblichen Versuch, die Mutter, hier vertreten durch die Prostituierten, doch noch zu retten und damit sich selbst? Im Laufe der Geschichte nähern sich Raúl und Valentín immer weiter an und tauschen gegen Ende ihre Rollen - was nicht gut gehen kann.
Dieses Buch ist so interessant, dass man noch Seiten weiterschreiben könnte - lohnenswerte Lektüre!