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 Vaterland

Autoren: Robert Harris
Übersetzer: Hanswilhelm Haefs
Verlag: Heyne

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Europa, 1964: Das Großdeutsche Reich, siegreich aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen, erstreckt sich vom Rhein bis zum Ural, von St. Petersburg bis zum Kaukasus. Mit einem alternden Führer an der Spitze hält Deutschland die Zügel der Hegemonie in Europa in seinen Händen, doch es findet keine Zeit, sich auf den Lorbeeren des gewonnenen Krieges auszuruhen: Ständige Konflikte mit sowjetischen Partisanen zermürben die Moral der deutschen Besatzer. Ein neuer Kurs in seiner Außenpolitik soll Deutschland eine Annäherung an die USA möglich machen.

Vor dem Hintergrund dieses dystopischen Szenarios platziert Robert Harris einen Kriminalfall, welcher den Leser von der ersten Seite an zu fesseln versteht: Der Parteigenosse Josef Bühler, ein "alter Kamerad der ersten Stunde", wird ermordet in Berlin aufgefunden, der regimekritische Kripo-Sturmbannführer Xaver März wird mit dem Fall beauftragt. Doch seine Nachforschungen stoßen auf Widerstand, denn höchste Kreise scheinen daran interessiert zu sein, den Fall ad acta gelegt zu sehen. Dass ihm der Fall entzogen und an SS und Gestapo übertragen wird, hält März nicht davon ab, zusammen mit der US-Journalistin Charlie Maguire tiefer in das politische Wespennest zu stechen. Während im Hintergrund die Vorbereitungen für den bevorstehenden Staatsbesuch von US-Präsident Joseph Kennedy zu Hitlers 75. Geburtstag auf vollen Touren laufen, geschehen weitere Morde und März und Maguire dringen immer tiefer zum Motiv der Taten vor, wobei sie mehr als nur einmal um ihr Leben fürchten müssen …

Die Idee eines alternativen Geschichtsverlaufes, in welchem das Dritte Reich siegreich aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen ist, ist keineswegs neu (man denke etwa nur an Philip K. Dicks "Das Orakel vom Berge" oder Len Deightons "SS-GB"). Doch Harris greift nicht einfach nur auf diese vielfach (ab-)genutzte Schablone zurück, um seinem Politthriller einen interessanten Schliff zu verpassen. Der Cambridge-Absolvent versteht es, historische Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und davor aufzugreifen und, bedingt durch den fiktiven Sieg Nazi-Deutschlands über die Sowjetunion, in eine alternative, aber durchaus logische Richtung weiterzuspinnen. Gleichzeitig räumt er mit den Klischees auf, die sich durch den wiederholten Gebrauch eines solchen Schreckensbildnisses in der Belletristik gebildet haben. So tritt das Großdeutsche Reich keineswegs als unbezwinglicher Weltbeherrscher auf, sondern als europäische Großmacht, welche mit allerlei Problemen zu kämpfen hat: Nicht nur dass der Partisanenkampf im Osten kein Ende zu nehmen scheint, auch zeigt sich die jüngere Generation der Deutschen als unzufrieden mit dem "alten" Regime; der eroberte "Lebensraum im Osten" erwies sich als agrarischer Reinfall und auch die Bürokratie unterm Hakenkreuz weist dem Leser nur allzu gut bekannte Symptome auf.

Die fiktive Authentizität seines Thrillers untermauert Harris auf facettenreiche Weise: So darf sich der Leser auf nationalsozialistische Kinderreime ebenso freuen wie auf Annoncen nach dem Schema "Rein arischer Arzt sucht nordische Lebensgefährtin", aber auch auf authentische Dokumente wie etwa Protokollauszüge der Wannseekonferenz. Eine Busfahrt zu Beginn des Romans bringt dem Leser ein von Albert Speer wiedererbautes Berlin näher, in welchem der Autor den Größenwahn des Nazi-Regimes exzellent festhält - jedoch nicht ohne den einen oder anderen Seitenhieb, den er seinem Protagonisten in den Mund legt. Auch geizt Harris nicht mit zum Teil ironischen Anspielungen und Parallelen zu "unserer" Welt, die dem Leser öfters ein Lächeln oder einen erstaunten Blick abgewinnen.

Die Charaktere sind lebendig erzählt, ihre Hintergründe gut herausgearbeitet; die Beschreibung der Schauplätze sprüht vor Details. Der Leser wird allerdings mit einem Kriminalfall der anderen Art konfrontiert: Die Identität des Täters wird relativ früh bekannt gegeben, die Handlung dreht sich hauptsächlich um die Frage nach dem Motiv - was keineswegs als Minuspunkt zu werten ist. Die Aufdeckung des Motivs und die Auflösung des Romans stellen, neben der erschreckend glaubwürdigen Darstellung des alternativhistorischen Deutschlands, die Höhepunkte von "Vaterland" dar. Die Liebesgeschichte, die sich zwischen März und Maguire entwickelt, scheint unumgänglich in einem Unterhaltungsroman, doch führt sie der Autor zu einem überzeugendem Ende. Zu beanstanden ist lediglich, dass es dem Autor nicht gelingt, den Spannungsbogen über den gesamten Roman hindurch zu hundert Prozent aufrecht zu erhalten; diese Lücken nützt Harris aber geschickt aus, um weitere interessante Details zur weltpolitischen Situation, zum Leben von Hitler und Genossen oder zum "anderen" Kriegsverlauf ans Tageslicht zu bringen. Das komplexe Konstrukt aus Plot, Hintergrund, Akteuren und Erzählstil kann getrost als gelungen angesehen werden - vor allem wenn man bedenkt, dass es sich bei "Vaterland" um Harris’ Romandebüt handelt. Eine Karte zur politischen Situation Europas und eine Skizze der Berliner Siegesallee runden das brillant konzipierte Buch ab.

Fazit: Ein hervorragend inszenierter Politthriller aus einer Welt, die es so nie gab. Robert Harris versteht es, die Stiefschwestern Fakt und Fiktion zu versöhnen und die kontrafaktische Geschichte nicht einfach als nette Dekoration zu missbrauchen, sondern Plot und Charaktere geradezu lückenlos darin einzuflechten.

Michael Höfel



Taschenbuch | Erschienen: 01. April 2008 | ISBN: 9783453721807 | Originaltitel: Fatherland | Preis: 6,00 Euro | 376 Seiten | Sprache: Deutsch

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