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In regelmäßigen Abständen kommt Kritik an der deutschen Sprache auf: Man lasse zu viele englische Lehnwörter zu, die Jugend spreche ohnehin kaum noch richtiges Deutsch, und zweisprachig aufzuwachsen fördere bei Kindern nur Schwierigkeiten in der Schule. Solche und viele weitere Vorurteile sowie Halbwahrheiten über die deutsche Sprache behandeln die Journalistinnen Ilse Achilles und Gerda Pighin in dem Buch "Vernäht und zugeflixt!", erschienenen beim Duden Verlag.
Zwölf Kapitel mit den unterschiedlichsten Aspekten zur deutschen Sprache gibt es; zunächst ist es das Thema der Veränderung des Deutschen, sowohl in Wortschatz als auch Grammatik, das einleitend angesprochen wird.
Es folgen wichtige Punkte wie Jugendsprache und ihre Eigenheiten, Sprecher und Herkunft sowie deutsche Dialekte. Hier räumen die Autorinnen unter anderem mit dem Vorurteil auf, Dialektsprechende seien dumm, denn die Dialekte beinhalten eine wesentliche historische Komponente: Sie zeigen den Sprachwandel in verschiedenen Regionen Deutschlands und tragen wesentlich zur Sprachkompetenz und -erhaltung bei.
Das vierte Kapitel bietet eine Betrachtung des Deutschen in Bezug auf die Rechtschreibung, Besonderheiten der Sprache, auch im Vergleich zu anderen Sprachen, und die Nutzung in bestimmten Situationen wie etwa in einem Chatroom.
Auch der Spracherwerb bei Babys und die Entwicklung der Sprache bei Kleinkindern werden angesprochen. Unter anderem stellen die Autorinnen Versuche vor, die Aufschlüsse über die Sprachkompetenzen von Babys geben, und man erfährt, dass Neugeborene bereits ab dem ersten Schrei ihren Sprachapparat fördern und entwickeln. In diesem Zusammenhang ist auch das Thema der Mehrsprachigkeit aufgeführt, das schon immer für gespaltene Meinungen sorgte - fördert sie die Entwicklung eines Kindes oder hemmt sie sie? Im anschließenden Kapitel wird die Thematik bezüglich der Schule fortgesetzt; wichtige Regeln, die Kinder lernen müssen, Legasthenie und Probleme im Unterricht sind hier zu findende Schlagwörter.
Fremdwörtern, ihrem Import und Export sowie ihrer Funktion ist Kapitel acht gewidmet. Noch interessanter wird es aber im Folgenden, wenn es um Schimpfwörter, ihren individuellen Gebrauch und den Unterschied zwischen Schimpfen und Fluchen geht. Auch ein Versprecher beim Reden ist ein sprachwissenschaftlicher Aspekt, der Beachtung verdient, denn tatsächlich sind solche Versehen auf gewisse Art vorhersehbar; wir sprechen nicht nur nach Regeln, wir versprechen uns auch nach Regeln.
Dass gehörlose Menschen sich ebenso gut verständigen können wie hörende, beweist Kapitel elf. Die Gebärdensprache ist genauso eine Möglichkeit der Kommunikation wie die Lautartikulation. Die Autorinnen sprechen die Grammatik der Gebärdensprache an und bieten interessante Einblicke in diese für Hörende oft fremdartige Welt.
Im letzten Kapitel befassen sich die Autorinnen mit dem Phänomen der Computerübersetzungen, die aus einem normalen Satz schnell exotisches Kauderwelsch zaubern können, den üblichen Fehlerquellen bei einer solchen Übersetzung und einem historischen Überblick zum Thema.
Das wirklich Großartige an diesem Büchlein von 192 Seiten sind die lebensnahen Inhalte, die zwar auf trocken-theoretischer Sprachwissenschaft basieren, jedoch im Alltag grundlegend sind und nahezu jeden etwas angehen. Es sind gesellschaftlich relevante Themen, zu denen sich aus eigener Erfahrung schnell Zugang finden lässt. Insofern spricht "Vernäht und zugeflixt!" eine breite Leserschaft an, nicht zuletzt durch die lockere Aufbereitung der Informationen.
Trotz des legeren, manchmal auch humorvollen Stils wird der sprachwissenschaftliche Aspekt zu keinem Zeitpunkt vernachlässigt; so bekommt der Leser die Themen ansprechend und lehrreich zugleich serviert - eine gute Kombination und vor allem eine viel zu selten gesehene Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Anspruch.
Der Titel "Vernäht und zugeflixt!" sowie der Untertitel "Von Versprechern, Flüchen, Dialekten & Co." könnten aber in die Irre führen, denn all diese Themen kommen vor, sind aber nicht Hauptbestandteil des Buches. So wird man weder eine ellenlange Liste mit den neuesten Mode-Schimpfwörtern finden noch lustige Versprecher von Prominenten zu lesen bekommen. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem wissenschaftlichen Teil, und der ist sehr gelungen.
Deutsche Sprachwissenschaft muss nicht langweilig sein, wenn sie einen konkreten Bezug zu unserem Leben hat - das stellt "Vernäht und zugeflixt!" beeindruckend unter Beweis. Nicht nur Germanisten sollten einen Blick wagen, es lohnt sich!