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Zu den wesentlichen Themen der Lyrik, selbstverständlich auch der deutschsprachigen Lyrik, gehört die Liebe. Diese hat viele Gesichter, und es ergibt wenig Sinn oder wirkt zumindest unehrlich, sie lediglich romantisch oder platonisch zu verklären und die erotische Komponente aus dem Spiel zu lassen. Das wissen auch unsere Lyriker, wie die vorliegende Anthologie zeigt.
Der Herausgeber hat sowohl den Klassikern wie Goethe, Rilke und Ringelnatz einen angemessenen Platz eingeräumt als auch neueren Autoren. Dem lesenswerten Nachwort zufolge wurden zahlreiche Lyriker angeschrieben und eingeladen, einen Beitrag zum vorliegenden Buch zu leisten. Offensichtlich sind etliche der Einladung nachgekommen, und so finden sich auch viele Erstveröffentlichungen im Buch, darunter Gedichte von Gerhard Rühm, Matthias Politycki, Uljana Wolf und anderen.
Das Buch ist nach Themen in Kapitel unterteilt: "Scharfe Bilder & Beobachtungen", "Spitze Phantasien & Erzählungen", "Verruchtes Stadt- & Partyleben", "Sündige Nächte & Gestalten", "Trunkene Kuß- und Schlemmermäuler", "Säuische Anatomie und Topographie", "Heiße Manns- & Weibsbilder", "Schwellende Fauna & Flora", "Enthemmtes Ehe- & Familienleben", "Erhitzte Seitenspringer & -innen", "Sündige Misch- & Paarungen" sowie "Genug Liederlichkeit, Liederlichkeit genug!".
Jedes Kapitel wird durch ein kurzes Zitat aus einem der Gedichte eingeleitet.
Das schon erwähnte Nachwort erläutert, wie es zur Entstehung der Anthologie kam, nämlich unter anderem, weil ein eher konventionell zusammengestellter Liebeslyrikband des Herausgebers von einem namhaften Rezensenten unter dem Titel "Wo bleibt die Pornographie?" besprochen wurde.
Hier ist sie, die Pornographie. Jedenfalls tritt sie häufig auf. Schön obszön? Nackt im Takt? Der Grat zwischen Erotik und ausgesprochen plumper Pornographie ist schmal, und er wird in diesem Buch häufig und bewusst gekreuzt, sodass sich für jeden Geschmack etwas findet. Manches Gedicht beschränkt sich auf feine, anregende Anspielungen, andere legen es auf intensive Provokation an, schildern ungeschminkt die animalische Seite der Sexualität, eher ausgefallene Praktiken, Promiskuität - beziehungsweise, auch das kommt vor, das ganz "Normale" in aggressiven, abfälligen, "schmutzigen" Worten. Ironie und Sarkasmus spielen eine bedeutende Rolle in etlichen Gedichten, manchmal auch ganz offener Humor wie in Frank Schulz "Sternzeichen-Fick-Info" - Astrologie mal anders, insbesondere praxisnah - oder in Gottlieb Konrad Pfeffels Gedicht "Die Sirene":
"Ralf, dem sein Weibchen mörderisch
durch ihr Gekreisch die Ohren plagte,
sah ein Sirenenbild und sagte:
Mir wär es lieber: oben Fisch."
Gefällts? Eine Anthologie ist wie eine Schachtel mit einer Pralinenmischung, manche mag man besonders gern, andere weniger, am Ende werden sie alle vernascht, und Ähnliches gilt für die vorliegende Lyrik. Hier und da wird man erfolgreich nach einem tieferen Sinn suchen, in anderen Fällen sollte man darauf verzichten und Humor und Spott unmittelbar aufnehmen oder, je nach Gusto, lieber weiterblättern und sich vielleicht überraschen lassen. Mögen Sie die biederen Romantiker, zum Beispiel Friedrich Rückert? Dann lesen Sie in "Die glückliche Gärtnerhand" recht unmissverständlich:
"Welch Gärtner auf Erden kann sich rühmen
Solcher glücklichen Hand wie ich! Ein schönes
Bäumchen streichelt ich, um den jungen Wildling
Mir zu schmeidigen, täglich mit den Händen.
Unterm Streicheln, o Wunder, sind am glatten,
Schlanken, hölzernen Stämmchen unversehens
Mir zwei Äpfelchen in die Hand gewachsen."
Ob der an die Massenmedien gewöhnte Leser aus diesem Buch praktischen Nutzen ziehen wird, sei dahingestellt. In so mancher Hinsicht reizvoll ist die vorgestellte Lyrik, insbesondere aber hat der Herausgeber eine interessante Auswahl getroffen, die manchen Klassiker in einem unverhofften Licht zeigt und neugierig auf zeitgenössische Dichter macht. Ein insgesamt durchaus provokatives, für Unerschrockene jedoch absolut lesenswertes Buch. Schön obszön, wie gesagt.