Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer legt nunmehr den sechsten Band seiner jährlich erscheinenden Veröffentlichungsreihe "Deutsche Zustände" vor, in der er Forschungsergebnisse zum Thema "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" vorstellt.
Mit diesem Begriff fasst der Autor abwertende und diskriminierende Einstellungen gegenüber Juden, Muslimen, Behinderten, Obdachlosen, Ausländern, Frauen und Homosexuellen sowie Rassismus und das Beharren auf Etabliertenvorrechten (Privilegien für Alteingesessene) zusammen. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" ist dabei nicht nur ein Oberbegriff, vielmehr geht der Autor davon aus, dass es sich um ein Einstellungssyndrom handelt, aus dem die genannten konkreten Vorurteile ursächlich hervorgehen. Er führt dieses Syndrom auf eine ideologische Grunddisposition zurück, die auf der Annahme der Ungleichwertigkeit von Menschengruppen basiere.
Der Band enthält in vier Abschnitten zwanzig Beiträge von insgesamt sechsundzwanzig Autoren:
Die ersten beiden Abschnitte stellen Forschungsergebnisse dar: Untersucht werden - unter anderem - die Wirkung ökonomischen Nützlichkeitsdenkens auf die Einstellung zu Minderheiten, die Rolle mangelnder politischer Partizipation, das Verhältnis von Islamkritik und Islamophobie und die Bedeutung dominanzorientierter Sozialnormen für gruppenbezogene Gewaltbereitschaft. Dabei werden vor allem Umfragedaten statistisch aufbereitet.
Die Beiträge im dritten und vierten Abschnitt wurden überwiegend von Journalisten verfasst. Es handelt sich um Reportagen, feuilletonistische Aufsätze und Interviews, mit denen bestimmte Aspekte des Themas illustriert werden.
Heitmeyers Theorie schreit geradezu nach einer ideologiekritischen Analyse, die an dieser Stelle freilich nicht geleistet werden kann. Einige Punkte seien aber angedeutet: Erstens unterzieht er seine zentrale Hypothese, wonach gruppenbezogene Vorurteile vor allem ideologisch motiviert seien, keiner Überprüfung und erwägt keinerlei Alternativhypothesen. Zweitens beruft er sich bei der Ableitung verschiedenster Vorurteile aus einem gemeinsamen Syndrom auf unveröffentlichte Analysen. Drittens sieht er die Angehörigen von Minderheiten ausschließlich als Adressaten von Vorbehalten der Mehrheitsgesellschaft, wobei Wechselwirkungen zwischen Mehrheit und Minderheiten unberücksichtigt bleiben - für einen Soziologen eine erstaunliche Perspektive. Viertens spricht er der Mehrheitsgesellschaft das Recht auf die legitime Vertretung von Eigeninteressen ab, nach dem Motto: Wenn Minderheiten ihre Gruppenidentität pflegen, dient es der kulturellen Vielfalt; wenn Deutsche es tun, ist es "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". Fünftens gehört das Wort "Phobie" ("Homophobie", "Islamophobie") in den Wortschatz des Psychiaters, nicht des Sozialwissenschaftlers und dient dazu, Andersdenkende in durchaus menschenfeindlicher Weise als Träger eines psychischen Defekts zu diffamieren. Sechstens strotzt das Buch nur von linksideologischen Annahmen, die nicht offengelegt, sondern mit verblüffender Selbstverständlichkeit als zutreffend vorausgesetzt werden. Siebtens
aber lassen wir das, es wird uferlos!
Dabei sind etliche Einzelbefunde für sich genommen durchaus interessant und beachtenswert, etwa Jürgen Leibolds und Steffen Kühnels differenzierte Analyse islamfeindlicher Einstellungen oder Beate Küppers und Andreas Zicks Hinweis auf die Bedeutung von sozialer Dominanz als individueller Grundorientierung. Solche verborgenen Schätze wird aber nur heben können, wer im kritischen Umgang mit sozialwissenschaftlichen Theorien einige Übung hat; er sollte also Soziologie oder ein angrenzendes Fach studiert (und dabei auch in den Statistikvorlesungen nicht geschlafen) haben.