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Der Islam begann die Karriere, die ihn zur Weltreligion machte, mit einem gigantischen Eroberungszug, der ihn in weniger als einem Jahrhundert zur politisch herrschenden Religion in der riesigen Region zwischen Spanien und Indien machte. Der imperiale Charakter der frühen islamischen Ordnung wurde noch dadurch unterstrichen, dass die Muslime sich große Teile des byzantinischen und persischen Reichs unterwarfen und deren imperiale Traditionen übernahmen.
Der Historiker Ephraim Karsh untersucht in "Imperialismus im Namen Allahs" die Nachwirkung dieser früh verfestigten imperialistischen Prägung politischen Denkens in der islamischen Welt, indem er die politische Geschichte der islamischen Zivilisation als eine Geschichte von Großreichen beziehungsweise Reichsgründungsversuchen beschreibt. Besonders ausführlich geht er auf die Reiche der Umayyaden, Abbasiden, Fatimiden, Safawiden und Osmanen in Mittelalter und früher Neuzeit ein und auf die Politik Nassers, Saddam Husseins, Khomeinis und Bin Ladens im zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhundert.
Anders als die meisten westlichen Gelehrten, die sich mit diesem Themenkreis befassen, interpretiert er diese Geschichte allerdings weder als "clash of civilizations" noch als islamischen Abwehrkampf gegen den "westlichen Imperialismus". Er deutet die islamische Geschichte überhaupt nicht von der Beziehung Westen-Islam her, sondern betont die Eigendynamik der islamischen Zivilisation und die Bedeutung innerislamischer Faktoren für ihre politische Entwicklung.
Die Außenwelt, speziell der Westen respektive das christliche Abendland, spielte aus dieser Sicht eher die Rolle eines Akteurs unter vielen, war aber weder als Feind noch als Hegemonialmacht Dreh- und Angelpunkt islamischer Politik, wie Karsh an zahlreichen Beispielen von den Kreuzzügen über die Endphase des Osmanischen Reiches bis zum heutigen Palästinakonflikt nachweist.
Er arbeitet heraus, dass der imperialistische Traum vom Großreich bis heute die maßgebende politische Utopie der islamischen Welt ist, dass diese Utopie freilich in vielen Fällen kaum mehr als eine Propagandaformel für ehrgeizige Machthaber war, die die religiös aufgeladene politische Leidenschaft ihrer Untertanen zynisch für ihren Machterhalt einsetzten.
Die besondere Stärke von Karshs Buch liegt in seinem enormen Faktenreichtum: Auch gebildeten Lesern dürfte die Geschichte der islamischen Reiche in dieser Breite und Tiefe nicht vertraut sein, und Karsh füllt durch seinen querschnittartigen Zugang, verbunden mit der komprimierten Darstellung, zweifellos eine Marktlücke.
An manchen Stellen allerdings, speziell bei der Darstellung der politischen Wechselfälle im Abbasidenreich, geht der Autor derart ins Detail, dass der Leser hochkonzentriert bei der Sache sein muss, um nicht den Überblick zu verlieren.
Der Titel des Buches passt nicht ganz zum Text: Im Grunde beschreibt Karsh die imperialistische Tendenz muslimischer Politik eher als politisch-kulturelles Erbe der islamischen Frühzeit denn als Ergebnis genuin religiöser Motivation. Wenn er beschreibt, wie muslimische Machthaber sich je nach Bedarf einer religiösen Phraseologie bedienen, gewinnt man den Eindruck, dass ihre imperialistische Politik gerade nicht "im Namen Allahs" stattfindet. Eine tiefere Analyse der Wechselwirkung zwischen Religion und Politik hätte den Erwartungen des Lesers eher entsprochen und das Buch bereichert.
Diese kleinen Schwächen jedoch schmälern in keiner Weise den positiven Gesamteindruck: eine hoch informative, allgemein verständliche, gut geschriebene, ordentlich übersetzte Darstellung von vierzehn Jahrhunderten islamischer Geschichte aus einer interessanten und aktuellen Perspektive.