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Als ich vor fünfzehn Jahren Tunesien bereiste, begegnete mir in einer kleinen Oase ein Teppichhändler, mit dem ich mich längere Zeit unterhielt. Ich war zuvor ein Semester lang in einem Seminar über Habermas gewesen und hatte mir grundsätzliche Züge seiner Philosophie angeeignet. Dieser Teppichhändler war nun an Habermas sehr interessiert, was schon deshalb erstaunte, weil die wenigsten Deutschen Habermas kennen. Noch erstaunter aber war ich, dass wir uns sehr gleichberechtigt über diesen deutschen Philosophen unterhalten konnten. Woher er sein Wissen habe, fragte ich ihn und der Teppichhändler antwortete: Man unterhalte sich in den Teestuben darüber. Gelesen habe er Habermas nicht, denn er sei Analphabet.
Ich war von dieser Erfahrung gleichermaßen beeindruckt wie beschämt. In diesem Buch nun findet man ein ähnlich unprätentiöses Interesse und eine ähnliche gemeinsame Achtsamkeit gegenüber dem Wissen.
Ein World Café ist ein großes, kollektives Gespräch, das nach bestimmten, sehr offenen Vorgaben einen Erfahrungsaustausch ermöglicht. World Cafés werden organisiert und die Kernfrage ist vorgegeben. Doch was dann, im Gespräch, passiert, liegt in den Beiträgen der Teilnehmer. Stellen wir uns das bildlich vor: Zu der Frage "Was sind für Sie die Zwecke sozialen Lernens?" treffen sich zweihundert Menschen aus allen Schichten und mit allen möglichen beruflichen Hintergründen. Nach einigen einleitenden Beiträgen, die mehr Denkanstöße als fertige Konzepte liefern, setzen sich je vier Menschen an einen vorbereiteten Tisch und diskutieren ihre Erfahrungen, Wünsche und Vorstellungen zu dem Thema. Nach einer bestimmten Zeit wechseln die Menschen ihre Plätze, treffen sich mit drei anderen Menschen an einem anderen Tisch und tauschen ihre Gedanken von neuem aus. Dies passiert ein drittes Mal. Hier ist dann der Unterschied, dass die Gruppe das Ganze zu visualisieren beginnt: Es werden Schaubilder gemalt, die je nach Gruppe sehr unterschiedlich ausfallen und je nach dem Bedürfnis der Gruppe sehr vollständig sind oder nur das Wichtigste zusammenfassen. Diese Schaubilder werden in einer Art Galerie aufgehängt und können zum Abschluss von den Teilnehmern betrachtet werden.
Ziel eines World Cafés ist keineswegs, ein fertiges Konzept zu erstellen. Gerade hier soll jeder Problemdruck, aber auch jede Zielorientierung außen vor gelassen werden, damit kreative Abweichungen möglich sind und Zwischenprodukte nicht als Sackgassen gewertet werden.
Das Buch führt in zwölf Kapiteln in die Organisation von World Cafés ein. Sie können zu sehr unterschiedlichen Fragestellungen ins Leben gerufen werden, sei es auf betrieblicher Ebene (Wie können wir unsere Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen gestalten?), sei es auf politischer Ebene (Welche Erfahrungen des Zusammenlebens sind uns wichtig? Welche wollen wir fördern?). Um ein World Café geordnet ablaufen zu lassen, gibt es bestimmte Spielregeln, die teils von den Veranstaltern hergestellt werden müssen, teils von den Teilnehmern befolgt werden sollten.
So haben die Veranstalter die Aufgabe, den Kontext des World Café festzulegen: wie das World Café genau ablaufen soll, ob es zum Beispiel Redner im Vorfeld gibt und zu welchen Themen geredet wird; wer eingeladen werden soll; in welcher Form die Ergebnisse präsentiert werden sollen.
Zu den weiteren Aufgaben gehört das Bereitstellen eines gastfreundlichen Raumes, der eher gemütlich als funktional sein soll, damit die Teilnehmer in einer entspannten Atmosphäre sprechen können. Ebenso gehört das Ausarbeiten einer relevanten Frage dazu, die zugleich ansprechend ist, neugierig macht, offen ist, aber eben auch die Teilnehmer auf die Kernthematik einschwört. Eine weitere Aufgabe ist, die Menschen so einzuladen, dass sich jeder angesprochen fühlt, einen Beitrag zu leisten, andere Beiträge zu respektieren und diese im Gespräch zu vernetzen und daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Genau dies aber ist auch ein Kernprinzip für die Teilnehmer: ihre eigene Perspektive als wichtig für den Lernprozess zu sehen, wie die Perspektive anderer für diesen Prozess wichtig ist. In diesem großen Dialog geht es nicht um das Gewinnen oder Sichdarstellen, sondern um das Entstehen neuer Betrachtungsweisen und Denkmuster, also etwas, was man in der Kybernetik als Emergenz bezeichnet. Schließlich sollen aber nicht nur gemeinsame Muster, sondern auch tiefer gehende Fragen hervorgehoben werden und dies - zum Beispiel in Form einer Galerie - gesammelt und mit allen Anwesenden geteilt werden.
Die Autoren stellen diese Kernprinzipien in je einzelnen Kapiteln vor. Sie werden von Kapiteln flankiert, die ethische und erkenntnistheoretische Dimensionen diskutieren.
In den einzelnen Kapiteln finden sich immer wieder Beiträge von Gastautoren, die über ihre Erfahrungen mit dem World Café berichten, die in sehr unterschiedlichen Kontexten zu sehr unterschiedlichen Themen stattgefunden haben. Grafiken und Bilder ergänzen den Text.
In gewisser Weise hat man es mit einem ganz wundervollen Buch zu tun, das Sehnsucht nach Gesprächen macht, die sich nicht an einer leeren Oberfläche bewegen. Man bekommt Anregungen, Tipps und Handwerkszeug vorgestellt, die zum Durchführen eines World Cafés wichtig sind. Die Sprache ist einfach und da viele Beispiele gegeben werden, wird jeder hier seinem eigenen Anliegen ähnliche Vorbilder von World Cafés finden. Trotzdem hat das Buch auch einige arge Probleme. Die Vielzahl an Beispielen wirkt arg ermüdend. Nach dem siebten oder achten wünscht man sich eine eher knappe Zusammenfassung. Jedes Mal von Neuem zu beginnen, ist einfach zu viel. Ebenso sind die Kernprinzipien so oft wiederholt, dass man als Leser das Interesse verliert, noch einmal zur Raumgestaltung oder zur Wichtigkeit des Dialogs einen Abschnitt zu lesen. Zum dritten fehlen die knackigen Übersichten zu den Kernprinzipien, zu bestimmten Handwerkzeugen oder Ablaufmöglichkeiten eines World Café. Die Systematisierung und das Zusammentragen bleibt weitestgehend dem Leser überlassen.
Insofern ergibt sich ein sehr zweigeteiltes Bild von diesem Buch: anregend, ermutigend, wegweisend, aber auch langweilig und verwirrend. Eine wesentlich straffere und durchdachtere Organisation hätte dem Buch eindeutig gut getan. Emergenz mag für die soziale Vernetzung von Perspektiven wichtig sein; Buchautoren ist ein gewisser leserfreundlicher Despotismus aber dringlich empfohlen.
Fazit: Es wäre wundervoll, wenn viele Menschen die Idee des World Cafés kennen lernen und umsetzen und insofern wünsche ich diesem Buch natürlich auch einen großen Erfolg und eine breite Leserschaft. Zumindest, solange kein strukturierteres Buch zu dem Thema erscheint.