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 Zur Romantik


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Anspruch
Schon Goethe wusste: "Romantik ist Krankheit." Was also hätte der Dichterpapst der Deutschen wohl zu dem Romantik-Revival gesagt, das in den letzten Jahren die Literaturlandschaft erfasst hat, zuletzt befeuert durch den Besteller von Rüdiger Safranski "Romantik. Eine deutsche Affäre"? Hätte er darüber gestaunt, dass ausgerechnet ein literaturwissenschaftliches Werk zum Dauerseller werden kann? Sich gar über den späten Erfolg der Romantiker wie E.T.A. Hoffmann, Novalis, Hölderlin, Kleist oder Uhland geärgert?

Skeptiker sehen in dem neuen Interesse der Deutschen an "ihren" romantischen Dichtern ein Anzeichen für die zunehmende Entpolitisierung, für die Sehnsucht nach einer heilen Welt, gar für nationale Tendenzen. Ihnen sei dieses schmale Bändchen aus der Feder des großen deutschen Dramatikers Peter Hacks (1928-2003) ans Herz gelegt. Hacks, bis zuletzt ein überzeugter Marxist-Leninist, hat wenige Jahre vor seinem Tod diese ungemein schlagkräftige Polemik verfasst, offensichtlich genervt vom unreflektierten Hochjubeln der romantischen Dichtung des 19. Jahrhunderts. Für Hacks ist die Romantik in erster Linie "misslungene Literatur", inhaltlich dürftig, teilweise reaktionär, vor allem aber als klare Gegenbewegung der Aufklärung zu sehen und als solche ein Produkt antinapoleonischer Propaganda der sich im Erfindungsprozess räkelnden deutschen Nation. Für diese These führt er etliche Beweise an - mit giftiger Tinte geschrieben, polemisch bis aufs Blut und zugleich von einer stilistischen Brillanz, die man aus seinen Theaterstücken und Essays kennt.
Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass E.T.A. Hoffmann den Plot seines wohl wichtigsten Werks "Die Elixiere des Teufels" von der englischen Gruselnovelle "The Monk" geklaut hat - einem antikatholischen, sadistischen Porno von Mathew Gregory Lewis?
Dass sich Novalis, Friedrich Schlegel und Friedrich Schelling mit Opium vollpumpten, um ihre Kreativität zu beflügeln?
Dass sich Heinrich von Kleist, Schlegel und andere Romantiker mit Spionagediensten ein Zubrot verdienten und ihre Druckerzeugnisse von antinapoleonischen Geheimgesellschaften und dem englischen Secret Service finanzieren ließen?
Dass sich in ihrem Umfeld jede Menge patriotische "Groupies" wie Pauline Wiesen oder Johanna Motherby tummelten?

Zugegeben, das alles grenzt selbst aus heutiger Distanz an kleinkarierter Diffamierung, und Romantikverehrer werden empört sein über diesen Frontalangriff auf Ikonen wie Novalis, Kleist oder Karl Immermann ("Immermann, wozu zum Teufel war der gut?"). Warum sich die Lektüre von Hacks' Schrift dennoch lohnt, hat im wesentlichen zwei Gründe: Erstens die saubere und höchst vergnügliche Darstellung, die man auch ohne Vorwissen über die romantische Epoche mit großem Gewinn lesen kann. Zweitens sind Hacks' Beweise hieb- und stichfest. Hier ist alles belegt, und bei aller Härte bleibt Hacks fair, dichtet nichts hinzu, kennzeichnet Spekulationen und begründet jede Schlussfolgerung. Dass er dabei auch Quellen verwendet, die von der Literaturwissenschaft gern ignoriert werden, sei hier nur am Rande bemerkt.

Nach Peter Hacks' Schrift wird man wohl mit anderen Augen auf die Romantik blicken, die eben nicht aus dem Nichts kam, sondern Hintergründe hatte - politische, finanzielle, gesellschaftliche. Ob sie in ihrer Gesamtheit als gezielte Speerspitze gegen die Aufklärung zu sehen ist, sei dahingestellt. Mancher Leser wird sich freilich auch an Hacks' gelegentlichen Lobreden auf Stalin stoßen, auch wenn man diese leicht als gezielte Provokationen enttarnen kann. Brillant bleibt der Text trotzdem; die ideale Ergänzung für Safranski-Leser, denen das dortige Hochfeiern der Romantiker suspekt war.

Hagen Hoffmann



Taschenbuch | Erschienen: 1. Februar 2008 | ISBN: 9783894582616 | Preis: 12,90 Euro | 128 Seiten | Sprache: Deutsch

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