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Khandir ist ein erfolgreicher Händler. Er hat, gegen den Widerstand vieler, den erst achtzehnjährigen Neriman zum Kapitän eines seiner Handelsschiffe gemacht. Doch als er sich zur Kontaktaufnahme mit neuen Kunden mit auf eine Seereise begibt, scheinen sich die Götter gegen sie verschworen zu haben. Das Schiff wird von zwei gewaltigen Stürmen erfasst, die aus entgegengesetzter Richtung ausbrechen. Weitab bekannter Schifffahrtsrouten, mehr als drei Wochen von der nächsten bewohnten Insel entfernt, sehen die Männer einige scharfe Felsen aus dem Meer ragen, die kein Seemann der Welt jemals betreten hat oder auch nur davon hören will. Es sind die Dracheninseln. Ein schroffes Geflecht gefährlicher Felsen, Untiefen, Strömungen und unwirtlicher Inselchen. Da das Trinkwasser nur noch für eine Woche reicht, beschließt Khandir, an Land zu gehen. Doch auch nach längerer Suche finden die Männer kein lebendiges Wesen auf dem Eiland. Nur einige Ziegenspuren und zwei Raubvögel, die hoch oben in den Lüften ihre Kreise ziehen, zeugen davon, dass hier Leben existiert. Unvermutet trifft Khandir auf ein vielleicht vierjähriges Mädchen. Nackt und stumm scheint es Zutrauen zu Khandir zu haben. Der Kaufmann beschließt, das Kind mit nach Hause zu nehmen.
Jahre vergehen. Niemand außer Khandir vermag mit Sylat, wie er das Findelkind nennt, umzugehen. Da seine Frau vor seiner Rückkehr in sein Heimatland verstorben ist, versucht er allein, das Kind zu erziehen. Doch auch nach Jahren, einer zweiten Ehe und der ersten Schwangerschaft seiner Frau, spricht Sylat kein Wort. Erst als das Kind geboren wird und nicht lebensfähig scheint, spricht Sylat einige Worte. Sie singt in einer kehligen, dunklen Stimme für Pachiro, wie sie ihren Bruder nennt und scheint ihn zu den Lebenden zurückholen zu können.
Auch wenn es für Khandir und seine Frau schwer zu ertragen ist, fühlt sich der Junge nur in den Armen von Sylat wohl. Der Kaufmann aber hat andere Sorgen. Ein Dämon scheint die Hafenstadt zum Ziel seiner Rache auserkoren zu haben. Immer mehr Menschen tötet das Wesen. Meist sind es Verbrecher, Mörder, Vergewaltiger oder andere üble Gesellen, die ohne Kopf, zerstückelt, verbrannt oder grausam zugerichtet am Morgen gefunden werden. Doch erst als der kleine Pachiro beschließt, gemeinsam mit Sylat diesen Dämon zu fangen, spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu.
Ein Jahr nach ihrem äußerst erfolgreichen Debütroman "Die Tochter der Schlange", überrascht Evelyne Okonnek mit einem gänzlich unkonventionellen "Drachenroman". Nicht nur, dass in der ersten Hälfte des Buches gar keine Drachen vorkommen, sie entwickelt auch derart langsam ihre Charaktere und die verschiedenen Schauplätze der Geschichte, dass es fast verwunderlich ist, dass keine Langeweile aufkommt.
Doch die wenigen, winzigen Hinweise auf den Ursprung der Drachen und ihr Geheimnis, die immer dramatischeren Ereignisse, die wunderbar detailreiche, warmherzige Art der Beschreibung, die realistische Anmutung der Welt, die Okonnek entwickelt, nehmen den Leser von der ersten Seite an gefangen. Man versinkt förmlich in dieser mittelalterlich-mythisch wirkenden Welt, dieser einfachen, harten und doch liebenswerten Welt voller Götter, Sagen und Helden.
Vor allem aber nimmt einen das Schicksal der kleinen Sylat gefangen und lässt einen nicht mehr los. Sie und ihr kleiner Bruder Pachiro werden mit Bangen und Hoffen begleitet. Und kaum hat man angefangen zu verstehen, ist man auch schon ans Ende dieses Romans gelangt.
Zwar bleiben viele Fragen unbeantwortet und man möchte gern mehr lesen von den Menschen und Drachen in dieser Geschichte, doch ist man auch glücklich und zufrieden, wenn man an ihr Ende gelangt ist. Vor allem aber gelingt es Evelyne Okonnek, eine Geschichte über Drachen zu erzählen, die es so noch nicht gegeben hat. Sie gewinnt dem Mythos dieser Wesen, ihrem Ursprung und ihrer Bedeutung eine neue, ungeahnt poetische Seite ab und belebt dieses Genre - hoffentlich - nachhaltig.