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Graffiti gibt es, wie man heute weiß, nicht erst seit wenigen Jahrzehnten – schon im alten Ägypten wurde auf Tempelwänden, Gräbern und Statuen die ganz persönliche Meinung kundgetan, wohl auch damals schon nicht ganz legal. Was heute unter Graffiti verstanden wird, ist natürlich eher das Graffiti Writing, das mal politisch ist, mal rein ästhetisch, mal schreit der Writer bloß seinen Namen in die Welt hinaus. Viele Bildbände zeigen beeindruckende Werke von Graffiti-Künstlern, doch mit „Backflashes – Graffiti Tales“, erschienen im Publikat Verlag, ist der Autor RuediOne einen ganz anderen Weg gegangen: Die hier abgebildeten Fotografien zeigen nicht die fertigen oder im Entstehen begriffenen Werke, sondern deren Schöpfer selbst, die Orte, an denen sie aktiv sind, den nächtlichen Nervenkitzel, die illegalen Streifzüge, die tristen Umgebungen, die dunklen Ecken weltweit.
RuediOne, geboren 1975, war selbst viele Jahre lang Graffiti-Writer, bis sich aus der fotografischen Dokumentation seiner eigenen Arbeiten heraus ergab, dass er sich selbst komplett der Fotografie zuwandte. „Backflashes“ ist eine Fotodokumentation, die einen kleinen Einblick in die Writer-Szene gibt. Mehrere Jahre lang hat RuediOne Graffiti-Writer auf der ganzen Welt bei ihren meist nächtlichen Streifzügen begleitet, um einzigartige Augenblicke voller Adrenalin fotografisch festzuhalten.
Der großformative Hardcover-Bildband zeigt auf 240 Seiten durchgängig schwarzweiße Fotografien, immer wieder unterbrochen von Statements der Writer, die in englischer Sprache beschreiben, was sie antreibt, was der Reiz an diesem mitternächtlichen und meist illegalen Spiel ist, was sie dabei empfinden. Diese kurzen Statements sind gut zu lesen und geben einen faszinierenden Hintergrund zu den gezeigten Momentaufnahmen ab.
„Im Dunkeln sind alle Katzen grau“: Die Stärke dieses Bildbandes, nämlich der Hauch der Mystik, die starken Kontraste von Licht und Schatten, die verwackelten, oft unscharfen Momentaufnahmen, bei denen man RuediOne als heimlicher Beobachter über die Schulter blickt, sind aber auch ein wenig seine Schwäche. Denn wenn man einige Seiten durchgeblättert hat, wiederholen sich Motive und Stimmungen endlos, es gibt wenig Abwechslung. Ein dunkler Bahnhof voller stillstehender Züge in Amsterdam sieht eben nicht viel anders aus als einer in Salerno oder Heidelberg oder sogar Santiago de Chile – alles ist sehr düster, häufig sehr unscharf, was nicht immer die gewünschte dichte Atmosphäre und Dynamik erzeugt, sondern eine gewisse Monotonie. Viele Motive sind großartig gewählt, etwa die kleinen Ausschnitte, wenn sich ein Sprayer fertig macht und seine Ausrüstung zusammenpackt – aber die gewählten Bildausschnitte und Perspektiven hätten ruhig noch innovativer, abwechslungsreicher sein können. Dass dies nicht unbedingt möglich ist, weil es eben keine gestellten Bilder sind, weil die Beleuchtung natürlich nicht optimal ist, weil die Aufnahmen spontan entstanden sind und die Zeit offensichtlich häufig drängt, ist klar, geht aber ein wenig auf Kosten der Vielfalt.
Für Graffiti-Fans, die den Nervenkitzel nächtlicher urbaner Abenteuer vielleicht sogar selbst kennen, auf jeden Fall ein stimmungsvoller, sehr hochwertig aufgemachter und ansprechend gestalteter Bildband, der einen Teil der Graffiti-Szene in authentischen und emotionalen Ausschnitten dokumentiert. Wer sich jedoch als Außenseiter an dieses Abenteuer wagt, wird ein wenig enttäuscht sein, dass die Stimmungsbilder sich alle sehr stark ähneln und man bei den betont dunklen und überwiegend bei Nacht aufgenommenen Bildern naturgemäß nur sehr wenig erkennt.