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„Dies ist ein letztes Hurra auf die Kirmes und die, die sie bevölkerten und lebendig machten. Auf dass ihr euch vielleicht an sie erinnern werdet. An jene, die den Spaß erfanden.“
Damit wäre der Inhalt schon beschrieben und es bräuchte keine weiteren Worte. Da die Rezension dann jedoch sehr kurz ausfiele, folgen dennoch ein paar weitere Angaben. Die Helden? Sind das Riesenrad, der Popper, die Zuckerwatte, die Midway genannte Hauptstraße, die Schießbuden. Und: die Freaks, die Schwätzer, die Feen, die Betreiber von Piratenschiff und Schiffschaukel, die Kinder, die Gestrandeten und Raufbolde und viele andere mehr. Kurz: die Kirmser. Mit ihrer ganz eigenen Sprache. Dem Kzirms. Mittel zur Verständigung untereinander und Waffe gegen „Die“, die Örtler und Besucher. Genannt Marks und Steife Jonnys. Alle zusammen bilden sie für kurze Zeit eine eigene Welt für sich. Mit all ihren Träumen, Glücksmomenten, Verheißungen, Wünschen, Tragödien, Plackereien, Angebereien, Betrügereien, Prügeleien, Streichen. Mit den leuchtenden Kinderaugen, verklebten Mäulern und Händen. Mit allem, was das Leben auf und der Besuch einer Kirmes ausmacht. Für die Kirmser war sie einst Heimat. Für die Marks und Steifen Jonnys war sie Abenteuer und Zeitvertreib, deren sie irgendwann überdrüssig wurden.
Das Buch ist ein melancholischer, aber auch (selbst)kritischer Abgesang auf das anstrengende und entbehrungsreiche Leben des "Fahrenden Volks", derjenigen, die auf einem Wanderjahrmarkt arbeiten. Erzählt aus der Ich-Perspektive eines Kirmsers. Die Sprache ist direkt. Zuweilen ist sie aggressiv und fast schon anklagend, wenn sie sich an die Besucher, die Marks oder Steifen Jonnys richtet. Dann wieder ist sie zärtlich, wenn sie die Zuckerwattenfeen, die Artisten, die Freaks, die Budenbesitzer, die anderen Kirmser beschreibt. Mal verzweifelt, wenn es ums nackte Überleben geht. Sie ist abwechslungsreich, wenn sie die sechzig verschiedenen Sirupsorten aufzählt, die hinter der Glaswand des Poppers stehen. Darunter Sorten mit so geheimnisvollen Namen wie Bahama Mama oder roter Samt. Da gerät auch der Leser schnell ins Träumen, welcher Geschmack sich wohl dahinter verbergen mag, und er würde am liebsten sofort losziehen zum nächsten Jahrmarkt. Um sich eine Tüte Popcorn, mit einer dieser exotischen Sirupsorten verfeinert, zu kaufen. Liebevoll und poetisch wird beschrieben, wie die beste Zuckerwattenfee hingebungsvoll bunte Wolkengebilde erschafft.
Dabei ist die Sprache von einer ausgefeilten Geschliffenheit. Gerade auch in den aggressiven und anklagenden Passagen. Dies stellt einen interessanten Kontrast zwischen Form und Inhalt dar, der eine ganz eigene Sogwirkung
entfaltet.
Ein besonderes Lesevergnügen ist auch der kurze Abschnitt in Kzirm. Eine Geheimsprache, die sich jedoch mit etwas Geduld und Übung entschlüsseln lässt. Dass dies in dem Buch den Marks nie gelingt, zeugt einmal mehr von deren Überheblichkeit und Gleichgültigkeit. Kzirm erinnert die Rezensentin an die Geheimsprache mit ihrer Freundin aus der Jugendzeit ihrer Mutter, von der diese ihr oft erzählt hat.
Dieser Roman entführt die Leser in die Zauberwelt ihrer Kindheit. In eine Vergangenheit, in der sie an der Hand ihrer Eltern diesen geheimnisvollen, aufregenden, fremden Minikosmos erkundeten. Und es kommt uns beim Lesen vor, als wehe uns der Duft von Zuckerwatte, gebrannten Mandeln, Bratwurst und anderen Genüssen an, als hörten wir entfernt erneut das eigene Kinderlachen. Zugleich gewährt es einen Blick hinter die Kulissen der Wanderjahrmärkte. Allen, die als Kind für die kurze Zeit eines Nachmittags in diese Welt eintauchen durften, sei die Lektüre empfohlen. Und all diejenigen, die sie nicht (mehr) erleben konnten, bekommen eine Ahnung davon, was sich seither verändert hat oder verloren gegangen ist.
Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.