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Als Clara, Tochter aus gut situierter bürgerlicher Familie, Edwin kennen lernt, der sich überwiegend autodidaktisch das Dirigieren angeeignet hat, ist er bettelarm. Idealistisch gründet er das "Junge Orchester", das in den bewegten 1920er-Jahren Musik zumeist unbekannter oder verkannter zeitgenössischer Komponisten zur Aufführung bringt. Clara, durch eine befreundete Cellistin mit dem Orchester in Berührung gekommen, wird das "Mädchen für alles" des Jungen Orchesters und Edwins, indem sie Musiker, Konzerte und Konzertreisen organisiert, Buchführung betreibt, abrechnet, wirbt und so fort. Sie verliebt sich rasch hoffnungslos in Edwin, der dies jedoch gar nicht zur Kenntnis nimmt. Es kommt zu einer von Edwins Seite flüchtigen, kurzen, rein körperlichen Liebschaft, Clara wird schwanger und treibt auf Edwins Veranlassung ab; und wie aus heiterem Himmel heiratet Edwin, mittlerweile durch wirtschaftliches Geschick wohlhabend und aufgrund seiner musikalischen Leistungen angesehen, eine schwerreiche und schöne Erbin eines Wirtschaftsbonzen.
Clara heiratet auch - einen Mann, der im Roman nur gleichsam schattenhaft auftritt, und sie bekommt ein Kind, den Ich-Erzähler, das ebenfalls fast immer im Hintergrund bleibt. Ihre unerfüllte Liebe treibt sie in eine eigenartige Psychose, immer fester verklammert sie sich in ihrer Verehrung für Edwin. Edwin, der zum gefeierten Stardirigenten und Mäzen, zu einem der reichsten Schweizer Bürger und einem gefragten Mitglied der "High Society" geworden ist, und der sich längst nicht einmal mehr an den Namen der Mutter erinnert.
Die Figuren in "Der Geliebte der Mutter" basieren zum Teil auf authentischen Persönlichkeiten. Als Vorlage für Edwin diente der bekannte Baseler Dirigent Paul Sacher, mit dem Widmers Mutter Clara offensichtlich vor ihre Ehe mit Widmers Vater eine kurze Affäre hatte. Auch Paul Sacher förderte die neue Musik, insbesondere, nachdem er durch Heirat zu enormem Reichtum gelangt war.
Dem Titel zum Trotz ist Clara, die Mutter, Hauptfigur des Romans und als solche eine tragische Gestalt. Altruistisch, geradezu masochistisch dem Mann ergeben, den sie liebt, lässt sie sich zunächst in jeder erdenklichen Hinsicht ausnutzen und wird schließlich, als Edwin sie nicht mehr benötigt, von einem Tag auf den anderen vergessen. Von da an betreibt sie nicht mehr öffentlich, sondern nur noch privat einen von zunehmendem Wahnsinn geprägten Kult um Edwin. Ihren Mann und ihr Kind scheint sie gar nicht wahrzunehmen.
Edwin wird als geschickter, ziemlich skrupelloser Emporkömmling gezeichnet, der Menschen wie Schachfiguren einsetzt. Ein wenig schemenhaft wirkt auch dieser Charakter, wenngleich er zentrale Bedeutung für den Handlungsverlauf innehat.
Zum Hauptstrang der Erzählung gesellen sich zahlreiche, oft skurril anmutende Nebenstränge, unter anderem Rückblenden in Claras Familiengeschichte. Dies ist ebenso gewöhnungsbedürftig wie Urs Widmers Sprache: kraftvoll, manchmal regelrecht kraftmeierisch, und nicht selten ungebärdig, kantig, sperrig, immer nah an der Grenze von "zu viel des Guten". Der gern eingesetzte Sarkasmus, oft zum Zynismus hin kippend, wird manchmal durch überraschend weiche Wendungen ein wenig abgeschliffen. Kein leichter Roman also - bisweilen entsteht der Eindruck einer bitteren Abrechnung.
Widmer liest sein Werk selbst, und er liest gut, wenn man sich erst einmal an seine vom Schweizerischen geprägte unkonventionelle Sprechmelodie gewöhnt hat. Insofern lässt sich die vorliegende Hörbuchfassung empfehlen. Sie ist nicht gerade preisgünstig, andererseits aber gefällt die Aufmachung: Jede CD befindet sich in einer Kartonhülle, es gibt ein apartes Begleitheftchen, und das Hörbuch wird in einer attraktiven, robusten Schachtel aus festem Karton geliefert.
Für Hörbuchfreunde, die hochwertige moderne, deutschsprachige Belletristik schätzen, ist dieses Werk unbedingt zu empfehlen.