Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Brutalität | |
Gefühl | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Die Geschichte beginnt an einer Ampel: Obwohl diese auf Grün springt, fährt eines der Autos nicht an. "Ich bin blind", ruft der Fahrer immer wieder. Doch er bleibt nicht der Einzige, der erblindet. Nach und nach erleiden andere das gleiche Schicksal: der Mann, der den ersten Blinden nach Hause gebracht hat, der Augenarzt, Patienten des Arztes. Alle werden sie von dieser plötzlichen Blindheit überfallen, die alles in ein milchiges Weiß taucht und bald nur noch das "Weiße Übel" genannt wird. Angesichts der Ansteckungsgefahr, die von der weißen Blindheit auszugehen scheint, beschließt die Regierung, die Blinden und mögliche Infizierte unter Quarantäne zu stellen. Eine ehemalige Psychiatrie, umgeben von hohen Mauern, scheint der geeignete Ort zu sein. Soldaten bewachen den Ort, wer das Gebäude verlässt, wird erschossen - so groß ist die Angst der Soldaten vor der Ansteckung, so groß die Angst der Regierung vor einer Epidemie und einer Erblindung der gesamten Bevölkerung. Doch das weiße Übel lässt sich nicht aufhalten. Immer mehr Erblindete werden interniert. Die hygienischen Zustände, bereits zu Beginn alles andere als angenehm, werden zutiefst ekelerregend. Es fehlt an Essen, an sauberer Kleidung, an sauberem Wasser. Zu allem Überfluss bildet sich eine Gruppe gewalttätiger Blinder, die Angst und Schrecken verbreitet, indem sie die Essensrationen für sich beanspruchen und mit den anderen Insassen nur gegen Bezahlung - in Form von Wertsachen und Vergewaltigungen - teilen. Die Situation eskaliert: Das Gebäude brennt, die Blinden fliehen nach draußen und stellen fest, dass die Soldaten fort sind. So machen sie sich auf den Weg. Doch auch außerhalb der Klinik herrschen Schrecken und Angst, Hunger und Verzweiflung, Chaos und Schmutz. Eine kleine Gruppe Blinder jedoch wird von einer Sehenden angeführt ...
José Saramago, der 1998 und damit vier Jahre nach der Veröffentlichung seines Romans "Die Stadt der Blinden" den Nobelpreis erhielt, mutet dem Leser einiges zu in diesem Roman. Neben wahrlich verschachtelten Sätzen und keiner Kennzeichnung der direkten Rede, ist das Buch auch inhaltlich alles andere als leichte, sonntägliche Kost. Grausam geht es zu in diesem Roman, in dem das Schlimmste im Menschen zum Vorschein kommt, dem Leser nahe tritt, sehr nahe. Doch gibt es auch immer wieder Schönes und Versöhnliches inmitten dieses Schmutzes, des Ekels und der Gewalt. Und genau dieser hoffnungsvolle Optimismus ist es, der den Leser die Wucht der Geschichte ertragen lässt. Saramago schreibt unglaublich temporeich. Die verschachtelten und langen Sätze haben eine ganz eigene Prosodie, einen Sog, dem sich der Leser nicht entziehen kann, der ihn im Gegenteil immer weiter hinein- und hinabzieht in die Abgründe menschlichen Verhaltens, die Saramagos auktorialer Erzähler beschreibt. Auch dass die direkte Rede nicht gekennzeichnet und das Stimmengewirr manchmal verwirrend ist, wird letztlich zum Vorteil des Buches. Zum einen gewöhnt man sich schnell daran und taucht so in die Geschichte ein, dass jedes Anführungszeichen und jeder Absatz den Lesefluss stören würden, zum anderen passt dieser "rohe" Schreibstil zur Rohheit des Inhalts. Eine Bedingung jedoch dem Schreibstil etwas abgewinnen zu können, ist wohl die Fähigkeit mit den Personen und der Geschichte mitzuschwingen. Stellt sich der Sog nicht ein, könnte der Schreibstil unter Umständen recht anstrengend werden und die Unterscheidung, wer denn nun gerade spricht, tatsächlich das ganze Buch über ein Problem sein. Hat einen der Sog jedoch erfasst, ist die Unterscheidung wahrlich gar kein Problem.
Im Jahr 2008 wurde der Roman verfilmt. Die vorliegende Ausgabe, die zum Film erschienen ist, enthält daher auch Fotos einiger Szenen.
Dieser Roman ist keine entspannende Lektüre, sondern eine Lektüre, die berührt. Diese Berührung ist jedoch nicht immer ganz schmerzfrei.