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 Die böse Form

Design an der Grenze des guten Geschmacks

Herausgeber: Karen Bofinger
Verlag: Birkhäuser

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Das Wort Design steht oft für Begehrenswertes, für schöne und ästhetische Objekte, für Ausgefallenes im oberen Preissegment oder zumindest Zweckmäßiges gemäß dem alten Grundsatz "form follows function". Doch was, wenn Designer aus diesem Schema ausbrechen und statt hübsch designter Gegenstände den Betrachter mit Objekten herausfordern, die hässlich, eklig, albern-sinnfrei oder verstörend sind? Herausgeberin Karen Bofinger geht diesem spannenden Thema in "Die böse Form – Design an der Grenze des guten Geschmacks" auf den Grund und präsentiert in dem bei Birkhäuser erschienenen Softcover-Band eine denkwürdige Auswahl an Designstücken, die verblüffen, abstoßen oder einfach nur zum Lachen reizen.

Nach einem sehr lesenswerten Vorwort, in dem verschiedene Autoren in kurzen Essays auf ungewöhnliche Intentionen und Auswüchse von Design eingehen, bietet sich dem Leser eine bebilderte Auswahl von seltsamen und teils bizarren Dingen, die Designer hervorgebracht haben. So findet sich unter dem passenden Stichwort "Gruselnippes" ein Porzellanfigürchen einer schneewittchen-ähnlichen Schönheit – süß und kitschig, wären da nicht die blutigen Eingeweide, die aus dem Bauch der Figur hervorquellen. Auf der gegenüberliegenden Buchseite sieht man einen Gartenzwerg mit heruntergelassener Hose nebst braunem Häufchen. Beide Objekte, der Gartenzwerg und das Nippes-Figürchen, stehen für Spießigkeit in Reinkultur, die durch Stör- und Fremdkörper geschickt ad absurdum geführt werden.
Im Kapitel "Die Schönheit der Schusswaffe" sind Waffen das Vorbild für diverse Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Eine Handgranate als Parfum-Flakon ("Flowerbomb"), ein Stuhl aus Patronen, eine Kaffeetasse mit einem Schlagring als Griff: Die unterschiedlichen Objekte sind teils einfach genial, teils dienen sie ausschließlich der (weitgehend sinnfreien) Provokation.

An die Grenzen des guten Geschmacks wagen sich Designer auch im Kapitel "Mythos Blut". Ein blutverschmiertes Teeservice dürfte nur morbide veranlagten Gastgebern gefallen (oder die ungeliebte Schwiegermutter kommt zu Besuch); schön böse ist da eher die Idee, auf einem Schneidebrettchen einen Arm mit ausgestreckter Hand aufzudrucken, so dass man der Fotografie mit jedem energischen Schnitt die Pulsadern aufschneidet. In den "Roadkill-Carpet" ist ein überfahrenes Tier in einer Blutlache gleich mit eingewebt, und ein Duschvorhang mit blutigen Handabdrücken lädt zum Gruseln à la "Psycho" ein.
Für Unerschrockene und Spielkinder ist das nächste Kapitel mit dem Titel "Ekel, Sex, Fäkalhumor" ein gefundenes Fressen: Der Hintern einer Katze dient hier als Bleistiftanspitzer, eine eklig tropfende Nase spendet Duschgel und die wurstähnliche Seife, die einem Hundehaufen täuschend ähnelt, mag wohl kaum einer unbefangen zum Händewaschen benutzen. Beliebt (und meistens albern) sind natürlich auch Design-Stücke mit sexuellem Inhalt: Zwei kopulierende Schweinchen als Salz- und Pfefferstreuer sind ebenso vertreten wie Pralinen in Penisform ("Cream Filled Willies") oder ein USB-Stick in Form eines Tampons (!).
Ähnlich schlüpfrig wird es dann in "Die Beschwörung der Triebkraft". Wer designt eigentlich Lichtschalter, die die weiblichen äußeren Geschlechtsteile täuschend echt nachahmen? Wer männliche Merkmale lieber mag, dem gefallen vielleicht der anzügliche Golf-Putter, die rosa Haus-Schlappen oder die Blumenvase, alles in mehr oder weniger naturgetreuer Phallusform.
Neben den üblichen Albernheiten wie dem Kaffeebecher mit ausladendem Busen finden sich hier aber auch einige gewagte oder blasphemische Statements, etwa eine plastische Barack-Obama-Nachbildung als Vibrator ("Head of State") oder ein ebensolches Utensil in Gestalt von Jesus am Kreuz ("Divine Interventions"). Viele Objekte zeigen erst in Verbindung mit dem Titel ihre wahre ironische Strahlkraft.

"Die böse Form" hat noch mehr solcher kleinen Ironien, Bösartigkeiten und Absurditäten zu bieten, von denen viele mit unseren gewohnten Wahrnehmungen und Erwartungen spielen und diese gekonnt auf den Kopf stellen, indem Formen oder Materialien ausgetauscht werden – sei es die Designertasche aus knuspriger Hähnchenhaut oder das tote Kuscheltier-Bambi, in dessen zerteiltem Körper ein liebevoll gehäkeltes Hackebeil steckt.

Ein großartiger Ausflug in eine Designwelt voller Blut, Fäkalien, Sex und Kitsch. Darf man das? Man darf! Designer und Freunde von ungewöhnlichen Dingen, die auch vor dem Infantilen oder Geschmacklosen nicht zurückschrecken, finden hier eine spannende Auswahl "anderer" Designobjekte. Einziges kleines Manko des ansonsten tadellosen Werkes: Für knapp 30 Euro hätte das Format ruhig etwas größer ausfallen können, was auch die abgebildeten Dinge noch besser zur Geltung gebracht hätte.

Einen Blick ins Buch gibt es hier auf der Verlags-Website.

Christina Liebeck



Softcover | Erschienen: 11. Juli 2011 | ISBN: 978-3034607216 | Preis: 29,90 Euro | 120 Seiten | Sprache: Deutsch

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