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Hunderttausende Menschen zieht es jedes Jahr nach El Rocío, einem kleinen andalusischen Ort, in dem sich sonst Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Während das verschlafene Nest den Rest des Jahres vor sich hin träumt, feiert zu Pfingsten eine ekstatische Menge ein mehrtägiges rauschendes Fest zu Ehren unserer lieben Jungfrau zum Morgentau. Ein Jäger fand die Statue im dreizehnten Jahrhundert und seit dem siebzehnten Jahrhundert zelebriert man die älteste Marienwallfahrt der Welt in der heutigen Form.
Bruderschaften starten in ihrem Heimatort und nähern sich auf staubigen Pfaden El Rocío. Die Mehrzahl kommt mittlerweile mit modernen Verkehrsmitteln, doch legen Traditionalisten den Weg immer noch zu Fuß zurück. Die echten Caballeros begehen die Reise natürlich hoch zu Ross, hinter sich im Damensitz die schöne Angebetete im Rüschenkleid á la Flamenca. Einige sind bis zu einer Woche unterwegs, wenn sie den Trommlern im Pilgerzug folgen. Ein Höhepunkt der Pilgerreise ist es, die Madonnenstatue zu berühren, die nur von der Bruderschaft aus Almonte getragen werden darf. Ansonsten huldigt man dem Himmel und den irdischen Genüssen, die sich nicht nur auf Essen und Trinken beschränken, wie man liest. So führt die Wallfahrt uralte Fruchtbarkeitsriten fort, wenn man sich unter Pinien liebt. Kein Wunder, dass die Kirche das bunte Treiben denn auch mit sehr gemischten Gefühlen betrachtet.
Dieser Bildband ist ein echtes Highlight des Jahres 2007. Rüschenkleider, Pferde und Rosen im Haar - wie schnell verkommt dieses Sujet zu billigem Kitsch. Nicht so bei Loïc Bréard.
So erwarten den Betrachter denn auch keine Film- und Werbeschönheiten, sondern eher die Ausnahmefiguren des Lebens. Die Frauen auf den Fotos zeigen pralle Formen in eng anliegenden üppig berüschten Kleidern und auch die Männer sind offensichtlich leiblichen Genüssen nicht abgeneigt. Selbst das Alter ist kein Grund, das Fest der Mutter nicht mit langen Ohrringen und grellem Make-up zu feiern. Alle sind sie auf dem Weg, wenn auch vielleicht aus unterschiedlichen Gründen. Auch die Bruderschaften "vom anderen Ufer" sind dabei und schmücken sich farbig und fantasievoll; alle haben ihre eigene Schönheit und alles darf sein.
Es gelingt dem Fotografen sehr gut, diese Stimmung einer Vermählung des Himmels mit der Erde einzufangen und zu vermitteln. Es ist eine Feier der Fülle, der Ekstase und der Freude. Wie könnte man Gott mehr huldigen als mit Gesang und Tanz, mit Lebensfreude und Lebendigkeit, scheinen die Bilder zu fragen. Sie geben einen Einblick in etwas Vitales und Urwüchsiges und sind dabei sehr authentisch und direkt.
Es sind Fotografien, die Gegensätze zeigen, nicht nur des Profanen und des Sakralen, sondern auch der Moderne und der Tradition. Sehr deutlich wird dies beim Aufeinandertreffen des mittelalterlichen Ritus mit der Neuzeit: etwa bei den Bildern, auf denen die lange Reihe der Ochsenkarren ein Industrieviertel mit Kränen durchquert, eine Pferdekutsche mit gitarrespielenden Cantatores einen Hochspannungsmast passiert, oder Flamencoschönheiten sich in genormten Plastikstühlen räkeln. Die Fotografien bieten durchweg neue Ausblicke auf das Thema und stellen das Ereignis umfassend und überzeugend dar: der Auszug aus dem Heimatort bis hin zur Ankunft und dem Fest in El Rocío - ein Bild der Reise, mit allen ihren Beschwerden und Freuden. Selbst bei mehrmaligem Durchblättern entdeckt man immer wieder Neues und Sehenswertes.
Die einhundertvierundachtzig Duplex-Aufnahmen in dem gebundenen Leinenband sind durchgängig in schwarzweiß gehalten - Loïc Bréard fotografiert ausschließlich schwarzweiß und mit analoger Aufnahmetechnik. So werden die Fotografien auch nachträglich nicht bearbeitet oder Ausschnitte ausgewählt, man blickt durch das Auge des Fotografen auf Augenhöhe mit dem Geschehen. Viele der Fotografien sind dabei ganzseitig in dem 23,5 mal 31,5 Zentimeter großen Buch abgebildet - einige sogar doppelseitig. Druck und Ausstattung des Bildbandes lassen keine Wünsche offen.
Jakob Strobel y Serra, Journalist bei der FAZ und dort vor allem für das Spanische zuständig, berichtet zu Beginn anschaulich und in kundigen Worten von der Wallfahrt El Rocío, dem Ort des Geschehens, und führt damit in das Thema ein.
Für die anderen Texte zeichnet die Herausgeberin Corinna Weidner verantwortlich, ebenfalls Journalistin und auch Kunsthistorikerin. Sie erläutert die geschichtlichen Hintergründe der Romería, wie die Wallfahrt auch genannt wird, und liefert hiermit für das Verständnis der Fotografien wichtiges Hintergrundwissen. In einem weiteren Beitrag stellt sie die Bruderschaft Triana vor, die Loïc Bréard auf ihrer Pilgerreise begleitete. Das Schlusswort gibt einen sehr detaillierten Einblick in die Fotografie Loïc Bréards und die Entstehung der Aufnahmen dieses Bildbandes. Alle Texte sind in deutscher, spanischer und englischer Sprache abgedruckt.
Loïc Bréard ging auf die Reise und ließ sich inspirieren von dem, was ihm begegnete, war Teil des Geschehens und doch Beobachter, der es versteht genau hinzusehen und das Wesentliche einer Szene zu erkennen und in ein Bild umzusetzen. Man kann ihm dabei geradezu eine eigene Bildsprache bescheinigen.
Es ist ein außergewöhnlicher Bildband gelungen - nicht nur für Spanienfans.