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Nâzim Hikmet kam, blieb, lachte und starb. "Geldim, Kaldim, Güldüm, Öldüm." - So lautet ein Gedicht des türkischen Dichters, der 1902 in Saloniki geboren wurde, in Istanbul aufwuchs und 1963 in Moskau im Exil starb. Dazwischen liegen Jahre intensives, kompromissloses, konsequentes Leben. Gute Voraussetzungen, um sich bei einigen Mitmenschen und der Regierung unbeliebt zu machen. So war der politisch engagierte Dichter denn auch zeitlebens in seiner Heimat verfolgt, verbrachte sechzehn Jahre im Gefängnis und zwölf Jahre im Exil. Von diesem Leben zeugen die Gedichte, die der Amman Verlag 2008 in einer zweisprachigen Ausgabe herausgebracht hat. Nachdem die Gedichte bereits in über dreißig Sprachen übersetzt waren, wurden sie erst 1965, nach Hikmets Tod, auch auf Türkisch herausgegeben.
Gisela Kraft hat die Gedichte Hikmets ausgewählt, übersetzt und nachgedichtet. Die über dreihundertfünfzig Seiten enthalten frühe Gedichte, die Zeit bis Anfang der dreißiger Jahre, das Epos vom Scheich Bedreddin, Gedichte bis 1955 und einige aus den letzten drei Lebensjahren. Mit einem umfangreichen, vierzig Seiten umfassenden Nachwort mit zahlreichen Fotos des Dichters, seiner Familie und nahen Freunden kommentiert und bettet sie sein Werk in den Kontext seines Lebens ein.
Ergänzt wird der wunderschöne gebundene, mit Leinenrücken und Lesebändchen ausgestattete Band durch Anmerkungen zu den Gedichten und zur Aussprache und zu den Lebensdaten Hikmets. Den editorischen Notizen und dem Bildnachweis folgt ein Verzeichnis der Gedichte in türkischer und deutscher Sprache.
"Nâzim Hikmet - Die Namen der Sehnsucht." ist eine sehr gelungene Hommage an den Dichter Nâzim Hikmet. Welche Meisterleistung Gisela Kraft vollbracht hat, kann wahrscheinlich nur derjenige wirklich nachvollziehen und würdigen, der ebenfalls versucht hat, Lyrik aus dem Türkischen zu übersetzen. Einer Sprache, die hinsichtlich Struktur, Ausdruck und Denkweise völlig unterschiedlich zur deutschen Sprache ist. Mit einfachem Übersetzen ist es also nicht getan, auch nicht mit sinngemäßem Übertragen. Nein, es gilt etwas Neues, Eigenes zu erschaffen, um die Stimmung, den Klang, den Rhythmus zu erfassen.
Grundlage der vorliegenden Auswahl ist die 2007 in Istanbul erschienene Edition Nâzim Hikmet Bütün Siirleri (Sämtliche Dichtungen). Aus diesem über zweitausend Seiten umfassenden Werk hat Gisela Kraft eine Auswahl getroffen, die zwangsläufig subjektiv ist, wie sie selbst betont. Wichtig dabei war ihr, die Person Nâzim Hikmets in seinem Werk aufzuspüren; sie stellte bei ihren Entscheidungen den Dichter über den Kommunisten und gibt vielfältigen Themen, die den Dichter beschäftigten, Raum.
Die Gedichte Hikmets handeln von der Liebe, der Freundschaft, vom Krieg und vom Hunger; die ersten schrieb er bereits im Alter von elf Jahren. Sie zeugen von seiner Liebe zur Wahrheit, zur Freiheit und zur Gerechtigkeit, aber auch von seiner Liebe zu den Frauen. Seine Dichtung gilt als Meilenstein der modernen türkischen und sogar der europäischen Literatur und seine Texte wurden zu Liedern, Parolen und geflügelten Worten, im Deutschen etwa von Hannes Wader.
Ebenso kreativ wie seine Wortwahl ist die Gestaltung auf dem Papier. Man denkt dabei an arabische Kalligraphien, in welcher der zeichnerischen Ausführung und Optik des Geschriebenen die gleiche Bedeutung zugemessen wird wie dem eigentlichen Inhalt. Die Worte galoppieren wie rote Rosse über das Papier, entfernen sich und nähern sich wieder, jedoch nicht ohne Ziel, Schüsse und Schreie verhallen. Wiederholung, Rhythmus ist bedeutsam.
Wie schon das anfangs erwähnte Gedicht zeigt, spielt auch die Mystik eine Rolle im Werk Hikmets. In den Texten der Mystiker geht es darum, die Essenz zu erfassen und mitzuteilen. Sie verweisen auf das, was hinter dem eigentlichen Wort liegt. Schon der Großvater ist ein praktizierender Sufi des von Rumi gegründeten Mevlevi-Ordens, in dessen Haus regelmäßige Treffen stattfanden. In dem Epos vom Scheich Bedreddin wird Hikmet nachts von einer Gestalt in einem nahtlosen weißen Gewand, die über das Meer wandelt, abgeholt.
Die Sprache Hikmets ist wie klares Quellwasser. Sie ist rein, klar, unverfälscht und mächtig. Sie kommt direkt aus den Tiefen des Geistes, gespeist von der höchsten Quelle. Etwas zu schreiben hieß für Hikmet, "etwas fangen im Innern, den Eimer in den inneren Brunnen werfen und Wasser heraufziehen". Nach ihm "verrottet das Wort, das nicht aus der Erde kommt, das nicht in die Erde dringt, das nicht in ihr Wurzeln schlägt". Es ist eine kraftvolle Sprache, ohne Schnörkel, der es dennoch gelingt starke und einprägsame, bewegende Bilder zu erzeugen. Wie dieses Buch zeigt, sind seine Worte noch lange nicht dabei zu verrotten und haben an Potential nicht verloren.