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"Wir sagen es laut: Wir sind hässlich, und wir sind viele. Es ist ein Unrecht, dass die Welt von der Schönheit regiert wird. Wir erkennen diese Ordnung der Dinge für uns nicht länger an."Hässlich zu sein ist ein Nachteil im Leben, der gleich mehrmals gnadenlos zuschlägt: Nicht nur, dass es das allerletzte Tabu der Gesellschaft ist - Hässlichkeit ist eine Todsünde -, hässliche Personen kämpfen auch mehr als die Schönen mit den Widrigkeiten des Lebens. Sie werden übersehen, übergangen, zurückgesetzt, nicht selten sogar offen angefeindet. Und zu guter Letzt: Wer sich seiner vermeintlichen oder tatsächlichen Hässlichkeit bewusst ist, der darf das nicht einmal zugeben. Auf den Satz "Ja, ich finde mich hässlich, ich
bin hässlich" wird der Betreffende nur befremdete oder peinlich berührte Blicke ernten und die hastige Zusicherung "Du? Quatsch, du bist doch nicht hässlich!"
Um der Hässlichkeit zu entgehen, um den aktuell herrschenden Schönheitsidealen zu entsprechen, muss jeder Einzelne mehr oder weniger Kraft und Zeit aufwenden. Und gerade weil die Schönheitsindustrie nur Geld verdient, wenn die Menschen eben sicher sind, nicht schön genug zu sein, ist es ein aussichtsloser Kampf. Eine zu lange, zu krumme oder zu große Nase? Ein Doppelkinn? Zu viele Sommersprossen? Knubbelige Knie? Schiefe Zähne? Ein paar Kilo zu viel auf den Hüften? Böse Fallen, die einen im schlimmsten Fall zum Außenseiter machen können.
"Für Hässliche sind die eigenen Fotoalben nichts weiter als ein Archiv jahrelanger Demütigungen. Wie Charlie Brown trage ich auf allen Kinderbildern einen riesigen runden Kopf auf den schmalen Schultern zur Schau, leuchte mit meinen roten, dünnen Haaren wie ein Hinweisschild aus den Gruppenbildern heraus: Hier ist der Minderbehübschte!"Das Autorenduo Regina und Harald Gasper nähert sich der Hässlichkeit in seinem Buch "Herrlich hässlich!" gleich von mehreren Seiten. Die Verfasser sprechen der Schönheit ihre Daseinsberechtigung nicht ab, sie entlarven jedoch völlig überzogene Schönheitsideale. Das Buch ist keine Anfeindung der Attraktiven oder gar Schönen, es wehrt sich jedoch vehement gegen den permanenten Zwang, schön zu sein, und gegen die Ausgrenzung des Hässlichen. Denn zweifellos sind die meisten Menschen keine atemberaubenden Schönheiten in dem Sinne, wie es uns die Werbung vorgaukeln will, sondern optischer Durchschnitt, bisweilen unter dem Durchschnitt, bisweilen darüber.
Eine Auswahl aus den Kapitelüberschriften des Buches:
Der Körperatlas der Hässlichkeit
Warum Hässliche immer den Kürzeren ziehen
Die eingebildete Hässlichkeit
Schönheit ist Sklaverei
Dünne gegen Dicke
Nur die Schönen haben ein Recht auf Sex
Die Texte sind eine Mischung aus Gesellschaftsanalyse, wissenschaftlichen Hintergrundinformationen und Tatsachenberichten. Immer wieder kommen in den einzelnen Kapiteln hässliche und schöne Menschen mit persönlichen Erfahrungen zur Sprache. Sie schildern die von ihnen empfundene eigene Hässlichkeit, den Umgang mit dem Makel - sei er tatsächlich vorhanden oder nur eingebildet -, die Reaktionen der Außenwelt, das Überwinden der Selbstzweifel oder die Resignation gegenüber denselben.
Schonungslose Offenheit und beißender Sarkasmus, der oft zum Schmunzeln reizt (Kapitelüberschrift: "Wir waren schon als Kinder scheiße"), durchziehen das Buch zwar wie ein roter Faden, hätten jedoch in größerem Maß noch weitaus mehr gefallen. Viele Kapitel ergehen sich in langer (Gesellschafts-)Kritik darüber, wie die Hässlichen im Leben benachteiligt werden und die Schönen bevorzugt. Lösungen beziehungsweise Ansätze dazu schließen sich erst gegen Ende einer langen Beschreibung der vielen negativen Aspekte der Hässlichkeit an. Das bedeutet: Den Großteil des Buches über wird gejammert, und zwar leider auf teilweise recht platt geschriebene Art und Weise. Sicherlich ist "Herrlich hässlich!" nicht als Psycho-Ratgeber für das angeknackste Selbstbewusstsein gedacht und soll kein Seelenbalsam für "makelbehaftete" Menschen sein. Doch ein etwas höheres Maß an Bissigkeit, mehr Zuversicht und Trotz - dem Titel "Herrlich hässlich!" entsprechend - hätten in manchen Kapiteln nicht geschadet.
Während in den über die ersten drei Viertel des Buches das Leid der Hässlichen dokumentiert und kritisiert wird, wandelt sich die Blickrichtung im letzten Viertel, bereits erkennbar an den Überschriften: "Raus aus der inneren Hundehütte", "Was uns draußen erwartet", "Erfolgreich hässlich", "Leben, was möglich ist". Das Fazit auf den letzten Seiten ist versöhnlich, kämpferisch und klug, es kommt lediglich ein bisschen spät. Insofern ist das Werk unausgewogen, weil es sich in langen Schilderungen über tatsächliche oder nur empfundene Hässlichkeit ergeht, die dem Leser nichts sagen oder bringen außer vielleicht einem Wiedererkennungseffekt à la "Anderen geht es ja auch scheiße!"
Ein Blick in dieses Buch lohnt sich dennoch auf jeden Fall, schon allein deshalb, weil es ein in der Öffentlichkeit ungern diskutiertes Thema auf recht humorvolle Weise beleuchtet und dabei eine Vielzahl von Blickwinkeln bietet. "Herrlich hässlich!" bietet für Menschen, die unter echter oder eingebildeter Hässlichkeit leiden, ebenso interessante Perspektiven wie für "Schöne", die die Nase voll haben von der Oberflächlichkeit leerer Ideale. Viele Leser werden sich selbst, ihre Zweifel und Gedanken in einzelnen Kapiteln wieder erkennen.
Regina und Harald Gasper haben in Deutschland einen "Club der Hässlichen" gegründet (einen solchen Club gibt es in Italien unter dem Namen "Club dei Brutti schon länger). Club-Maskottchen und Wahrzeichen ist der Nasenaffe, jenes Tier, das den Menschen durch sein merkwürdiges Gesicht mit der überproportionierten Nase zum Lachen oder Wundern reizt. Der Club der Hässlichen zeigt sich erfrischend offensiv und sympathisch. Betrachtet man auf der Website des Clubs die Galerie, in der einige Mitglieder von einem professionellen Fotografen unter dem Motto "Menschen, keine Models" portraitiert wurden, wundert man sich einen kurzen Moment. Keines der Gesichter erzeugt spontan das Urteil "hässlich". Viele der Fotografierten sind sogar ausgesprochen attraktiv - was wieder einmal beweist, dass die Eigenwahrnehmung eine höchst subjektive Geschichte ist und wie viel Schönheit im "Normalen" verborgen ist.