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Längst hat Peter Handke den Aufstieg vom Provokateur und Unruhestifter hin zum im Kanon abgestellten Autor geschafft. Bereits zu Lebzeiten ist er zum Klassiker geworden und doch vermögen es Literaturbetrieb und -kritik nicht, ihn ruhig zu stellen, wie die Kontroverse um die Vergabe des letztjährigen Heinrich-Heine-Preises zeigte. Traurig nur, dass bei all diesen Querelen allmählich die Person und nicht mehr die Texte Handkes im Mittelpunkt stehen, dass dessen Grabrede für Slobodan Milosevic oder die Existenz einiger Texte über Serbien und andere Zerfallsprodukte Jugoslawiens die Texte selbst verdecken. Und unversehentlich ist dies auch hier geschehen. Denn statt wie eine gewöhnliche Kritik damit zu beginnen, dass ein Autor ein neues Buch geschrieben hat, wurde unversehens der Autor selbst in den Vordergrund gedrängt.
Also, noch einmal. Peter Handke hat ein neues Buch veröffentlicht, eine Vorwintergeschichte. Eine Sängerin macht sich auf die Reise, um auf eine Insel nahe ihres Geburtsortes zu reisen, deren Wahrzeichen ein großer Kalisalz-Berg ist. Mit ihr geht auch der Sommer. Neben ihrem Gesangstalent besitzt die Sängerin die Gabe, Verlorenes zu finden. Nach zahlreichen Treffen mit ihrem Chauffeur, ihrem Gitarristen, ihrer Mutter und anderen Menschen besteigt sie schließlich das Schiff "Auswanderer", um auf die Insel zu kommen, auf der sie den für sie bestimmten Mann treffen soll. Das klingt recht kitschig und ist es auch. Unterwegs begegnen ihr immer wieder Hinweise auf ein vermisstes Kind, Plakate, Suchtrupps, Menschen, die mit Stangen im Wasser stochern und auch in Gesprächen kommt dieses Kind immer wieder vor. Ein Unfall? Ein Gewaltverbrechen? Ein peripheres und unwesentlches Ereignis? Der Leser weiß es nicht und der Erzähler weiß geschickt zu verbergen und zu verunsichern.
Wie bereits erwähnt ist die Handlung recht schmal und auch wenn die Motive mit ihrer Kargheit eine bezaubernde Bilderwelt heraufbeschwören, so vermag dieses Buch nicht zu fesseln. Der hymnische Ton und die verunsichernde Erzählinstanz stoßen den Leser immer wieder gewaltsam aus dem Lesefluss hinaus. Während der Erzähler durch das Misstrauen in seine eigene Potenz und seine eigne Perspektive neue Horizonte und Lesarten eröffnet, nervt der Ton einfach.
Das Buch bewegt sich zwischen entgegengesetzten Polen, zwischen Nähe und Ferne, Heimat und Nicht-mehr-Heimat, zwischen Winter und Nicht-Winter, zwischen dem Weiß des Kali-Berges und dem undurchdringbaren Schwarz der Stollen. Der lebensfeindliche, vom Menschen aufgeschüttete Salzberg als Metapher der Trauer, steht der Vollkommenheit und Friedlichkeit der Natur gegenüber - am Fuße des leblosen Salzberges singen die Grillen als Friedensboten.
Das Buch ist keines, das man abends vor dem Einschlafen liest und bei dem man entspannte Lesefreude genießt. Vielmehr scheint es, als wäre Handke bereits auf seiner Klassiker-Insel angekommen, auf die ihn seine populären Texte wie "Die Angst des Torwarts beim Elfmeter", "Der lange Brief zum kurzen Abschied" oder "Wunschloses Unglück" gebracht haben. Die Geschichte "Kali" ist nicht das Boot, um ihn von dort wegzubringen. Diese Literatur ist keine, an der eine breite Masse Freude findet, sondern sie ist bereits jetzt - Klassiker. Bleibt die Frage, ob die aufgezählten Punkte jetzt in eine positive oder negative Bewertung umschlagen, doch die Frage bleibt offen. Denn es ist wieder jenes seltsame Schweben, jene seltsame Unbestimmtheit, die sich in den Texten Handkes wieder findet, diese seltsame Ambivalenz zwischen Anziehung und Abstoßung. Dieser Text biedert sich dem Leser nicht an, vielmehr fordert er ihn durch seinen Verzicht auf Spannung und erzählerische Gewissheit heraus. Nun ist immer noch unbeantwortet, ob dies nun gut zu bewerten ist oder nicht, aber diese Frage bleibt eben, denn sie ist die unbequeme Frage, die die Texte Handkes immer an den Leser stellen. Und in dieser Frage liegt die Qualität Handkes Literatur.