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Ein beliebtes Zitat von Fehr und Russell lautet: "Everyone knows what an emotion is, until asked to give a definition." Auf Deutsch: "Jeder weiß, was eine Emotion ist, bis er nach einer Definition gefragt wird." In der Frage, was eine Emotion ist, ist auch die Frage enthalten, was es für Emotionen gibt und wie man sie unterscheiden kann. Emotionen werden heute vor allem in der Psychologie verhandelt. Vor der Psychologie waren es jedoch vornehmlich Philosophen, die sich mit Affekten befassten. Diese klassischen Emotionstheorien bleiben in der heutigen Emotionsforschung weitgehend unbeachtet. Allen, die sich trotz dieses Trends für philosophische Ansätze im Fachgebiet interessieren, sei das Buch "Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein" aus dem de Gruyter Verlag empfohlen.
Bereits die Philosophen der Antike entwickelten Affektlehren, die jedoch meist lebenspraktisch und an der Ethik orientiert waren. So bewertet Platon Affekte eher negativ. Sie stehen im Widerspruch zur Vernunft und sind beim Erkennen von Dingen und Sachverhalten im Wege. Es gibt jedoch bestimmte Affekte, die natürlich und vernünftig sind. Während Platon Affekte kritisch betrachtet, ist das Bild der Stoa von Effekten kompromissloser. Das von ihnen propagierte Ideal entspricht der vollkommenen Affektlosigkeit. Auch Aristoteles hat sich immer wieder mit emotionalen Phänomenen auseinandergesetzt, dabei allerdings ohne einen fest umrissenen Begriff. Trotzdem hat er entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Emotionsbegriffes ausgeübt.
Als christlichen Denker, der großen Einfluss auf die Philosophie der Emotionen hatte, kann man vor allem Augustinus nennen, der zum einen das stoische Ideal der Affektlosigkeit deutlich kritisiert und Affekte als zur Natur des Menschen gehörend betrachtet, zugleich aber das Jenseits oder Paradies als frei von Affekten ansieht. Affekte können vom Menschen nicht überwunden werden, jeder, der anderes annimmt oder anstrebt, befindet sich bereits am Ursprung der Sünde.
In der Neuzeit zeigt sich eine eher neutral analysierende Herangehensweise, die im Gegensatz zu den eher bewertenden antiken und christlichen Affekttheorien steht. So interessiert sich beispielsweise Descartes für die kausalen Mechanismen, die dem Erleben einer Emotion zugrunde liegen, das heißt einem geistigen Zustand, der wiederum mit einem bestimmten Hirnzustand korreliert ist, der über eine Nervenreizung durch ein bestimmtes Objekt ausgelöst wird. Für Hobbes ist die Furcht der Affekt, der das menschliche Leben prägt. Alle Menschen sind ungefähr gleich beschaffen und jeder ist bestrebt, sich selbst zu erhalten. Da Nahrungsressourcen nicht unendlich sind, entstehen Konkurrenzsituationen, in denen niemand ohne Furcht sein kann. Der Naturzustand des Menschen ist nach Hobbes ein Kriegszustand. Auch Spinoza naturalisiert und entmoralisiert die Affekte und macht zugleich den Umgang mit ihnen zu einem zentralen Thema.
"Klassische Emotionstheorien" aus dem de Gruyter Verlag behandelt Emotionen nicht wie üblich aus der psychologischen Perspektive, sondern stellt Arbeiten verschiedener Philosophen vor, die sich mit Affekten beschäftigen. Mit dabei sind antike Philosophen wie Aristoteles und Platon, christliche wie Augustinus und neuzeitliche Denker wie Descartes, Kant, Kierkegaard, Nietzsche oder Sartre. Dabei sind die Kapitel, die zwanzig bis dreißig Seiten umfassen, zumeist den Ideen eines Philosophen gewidmet, die dann von unterschiedlichen Autoren für den Leser entsprechend aufbereitet worden sind. Will man das Buch durcharbeiten und nicht nur als Nachschlagewerk benutzen, sollte man allerdings handfestes Interesse und Durchhaltevermögen mitbringen. Nicht immer wird der Inhalt wirklich leserfreundlich verpackt, sondern gleicht hin und wieder eher trockener Kost, was meistens an dem akademisch langweiligen Schreibstil liegt. Dafür bekommt man, wenn man die Zeit zum Durcharbeiten tatsächlich aufbringt, solide Informationen zu den Emotionstheorien der hier vertretenen Philosophen. Für alle, die sich eingehender mit Emotionen befassen, besonders auch Angehörige philosophischer Nachbardisziplinen wie der Psychologie, ist dieses Buch eine lohnenswerte Investition und auf jeden Fall wert gelesen zu werden, da heutige Ideen, Konzepte und Konstrukte zu großen Teilen auf diesen "alten" Ideen basieren. Zum Teil kann das Lesen etwas schwieriger sein, wenn man keine philosophische Vorbildung hat, im Allgemeinen aber kann man durch aktives Mit-, Nach und Überdenken mit den Autoren Schritt halten und ihren Ausführungen folgen.
Lohnenswerte, wenn auch anspruchsvolle Lektüre, die dem Leser einiges abverlangt.