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 Leben und Schicksal


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Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Spannung


Wir schreiben das Jahr 1942. Der Ort: Stalingrad. Die deutschen Truppen setzen zum Sturm auf die russische Stadt an der Wolga an. Hitler will diese Stadt, die den Namen seines Widersachers trägt, unbedingt fallen sehen, ihr strategischer Wert ist immens. Die sowjetischen Soldaten - noch ganz unter dem Schock der unfassbaren Greueltaten, die den deutschen Vorstoß begleiten, formieren sich zur Verteidigung. So beginnt die Schicksalsschlacht, die die Wende des Zweiten Weltkriegs besiegeln soll und den ersten und entscheidenden Rückschlag des nationalsozialistischen Vernichtungskrieg darstellen wird.

Wassili Semjonowitsch Grossman, russischer Kriegsreporter und Soldat, war bei dieser grausamen Materialschlacht dabei. Er schrieb damals für die Militärzeitung Krasnaja Swesda (deutsch: Roter Stern) und erlangte durch seine detaillierten, ehrlichen Reportagen große Berühmtheit in der Armee. Seine eigenen Erfahrungen versuchte er später in diesem Roman zu verarbeiten. Dabei hatte Grossman als großes Vorbild Tolstois "Krieg und Frieden" vor Augen; mit "Leben und Schicksal" wollte er den Geist Tolstois für das 20. Jahrhundert wiederentdecken. Und tatsächlich kann man "Leben und Schicksal" mit Fug und Recht als Pendant zu Tolstois Meisterwerk begreifen. Wo Tolstoi die russische Gesellschaft während des napoleonischen Feldzugs auf Moskau zeichnete, liefert Grossmann auf knapp 1100 Seiten (!) ein präzises Bild der russischen Seele während des 2. Weltkriegs. Auch er nimmt dabei verschiedene Perspektiven ein; einfache Soldaten und Offiziere, Gefangene, Zivilisten und Politaktivisten, Akteure der sowjetischen wie der deutschen Seite. Die Szenen freilich sind noch alptraumhafter als bei Tolstoi. Die brutale Wucht der Bomben-, Granaten- und Maschinengewehrangriffe, der allgegenwärtige Dreck, vermengt mit Blut und Öl, fängt Grossman in eindrucksvollen Bildern ein und zeigt die Erbarmungslosigkeit, mit der der Mensch in eine solche Schlacht hineingeworfen wird. Der Vernichtungswahn der Nationalsozialisten wird in jenen Szenen deutlich, die in deutschen Konzentrationslagern spielen. So entsteht vor dem Auge des Lesers - wie bei einem Puzzlespiel - das unfassbare Bild der damaligen Zeit, glaubwürdig in jeder Zeile, jedem Wort. Grossman taucht in die Gedankenwelt der Soldaten ein, schildert ihre Emotionen, Zweifel, Ängste und ihren stetigen Überlebenskampf, aber auch ihre zwischenmenschlichen Probleme. Denn selbst im Krieg gibt es Freundschaft und Feindschaft, Liebe und Leid ...

Ein eindrucksvolles historisches Panorama, das man in dieser Form selten zu lesen bekommt. Grossman, der später in der Sowjetunion in Ungnade fiel, als er sich intensiv mit der Vernichtung der sowjetischen Juden durch die Deutschen auseinandersetzte und sich gegen Zensurmmaßnahmen zur Wehr setzte, ist hierzulande lange ignoriert worden - obwohl sein "Leben und Schicksal" ohne Zweifel ein Meisterwerk ist, das mit Recht in der Tradition Tolstois steht. Mit der sehr schön gestalteten Ausgabe des Claassen Verlags, die auch ein kluges Nachwort über Autor und Werk enthält, ist diese Lücke endlich geschlossen worden. Freunde der russischen Literatur kommen an ihr nicht vorbei.

Hagen Hoffmann



Hardcover | Erschienen: 01. August 2007 | ISBN: 9783546004152 | Preis: 24,90 Euro | 1084 Seiten | Sprache: Deutsch

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