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Während für das Christentum Jesus aus Nazareth die zentrale, glaubensstiftende Figur ist, beruft sich der Islam auf den Propheten Mohamed, der, so will es die Religion, den Text des Korans unmittelbar von seinem Gott Allah diktiert bekam. Daher gilt der Koran den Muslimen als authentisches Wort Allahs; ohne Interpretationsspielraum.
Der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad, nicht zuletzt durch seine Islamkritik im Fernsehen bekannt, legt mit "Mohamed. Eine Abrechnung" ein Buch vor, das sich deutlich von seinen vorherigen Publikationen unterscheidet, denn hier geht es nicht primär um die Geschichte des Islams und seinen Einfluss auf die von ihm dominierten Gesellschaften, sondern um den Religionsbegründer Mohamed. Abdel-Samad untersucht den Koran selbst und weitere religiöse Schriften, vor allem die Hadithe, sowie andere Quellen, um ein Bild von Mohamed als Persönlichkeit zu entwerfen.
Auf die Einführung mit dem Titel "Die Radikalisierung eines Visionärs" folgen acht Kapitel, deren erstes sich mit den Biografien zu Mohamed befasst, die längere Zeit nach seinem Tod und mit klarer Intention entstanden. Im zweiten Abschnitt geht es um den Gründungsmythos des Islams, fußend auf Abrahams Sohn Ismael; im dritten um die durchaus enormen Verdienste Mohameds, nicht zuletzt um die Einheit Arabiens; das vierte Kapitel beleuchtet die Beziehung Mohameds zu den Frauen.
Im fünften Kapitel betrachtet Abdel-Samad die Entwicklung und Natur des Korans, das sechste umreißt die Historie von Mohameds Verhältnis zu den Juden. Teil sieben interpretiert überlieferte Verhaltensweisen Mohameds als Teil eines psychischen, unter anderem durch seine Kindheit bedingten Krankheitsbildes. Im achten Kapitel versucht der Autor, Wege aufzuzeigen, wie Exegeten den Islam mit dem 21. Jahrhundert versöhnen könnten, ohne ihn seiner Identität zu berauben. Es schließen sich wichtige Daten an sowie der Anhang mit Bibliografie, Danksagung und Anmerkungen.
In Zeiten des IS und anderer radikal-islamischer Gruppierungen versuchen sich westliche Gesellschaften etwas hilflos darin, den in etlichen Ländern als Staatsreligion fungierenden Islam zu verstehen, zumal in zahlreichen europäischen Ländern recht viele Muslime leben, von denen die meisten sich von islamistischen Strömungen distanzieren.
Wie Abdel-Samad aufzeigt und belegt, lässt sich ihre friedliche Gesinnung ebenso mit Koransuren begründen wie der Dschihad ihrer radikalen Glaubensgenossen: Nachdem Mohamed in Mekka geradezu poetische und in der Tat von Liebe und Frieden geprägte Verse geschrieben und gepredigt hatte und daraufhin geschmäht und geächtet worden war, änderte sich dies in Medina grundlegend. Der Autor nennt und zitiert jene Koranabschnitte, die als "Blaupause" für das Vorgehen des IS dienen, darunter Kreuzigungen, Enthauptungen und das Versklaven von Frauen - zu welchem Zweck, muss wohl nicht ausgeführt werden - inklusive. Diesen Zwiespalt sieht Abdel-Samad als das große Problem des Islams, der seiner Ansicht nach einer grundlegenden Erneuerung bedarf, da das der Religion zugrunde liegende Buch für Menschen des siebten Jahrhunderts geschrieben wurde und die Muslime im 21. Jahrhundert verständlicherweise Schwierigkeiten haben, sämtliche Regeln zu befolgen, die ihnen der Koran auferlegt; zumal Mohamed gegenüber seinen Anhängern einen extremen Kontrollzwang entwickelte (auf die umfangreichen psychologischen oder eher psychiatrischen Ansätze soll hier nicht näher eingegangen werden, sie würden den Rahmen der Rezension sprengen).
Der Autor wünscht sich im Sinne der Muslime eine vorwärtsgewandte Exegese, auch wenn diese es notwendig macht, Mohameds Unfehlbarkeit aufzuweichen, was zum Beispiel auch für die Rolle der Frau gelten solle. Ungeachtet des negativ wirkenden Untertitels sieht Abdel-Samad seine Rolle offensichtlich eher als jene des Impulsgebers, nicht des Verdammenden.
Nicht jeder Leser wird jedem Gedankengang Abdel-Samads folgen wollen, etwa, wenn dieser den Ursprung des Begriffs "Mafia" im Arabischen sucht und findet oder, was gerade viele Deutsche sehr bedenklich stimmt, Hitlers Verhältnis zu den Juden heranzieht. Hamed Abdel-Samad ist alles andere als politisch korrekt, sehr direkt und schießt möglicherweise über das Ziel hinaus: Für Nicht-Fachleute lässt sich das nur schwer beurteilen, weshalb es sich lohnt, ergänzend auch andere Werke zum Islam zu lesen. Dennoch erhält der Leser sorgfältig belegte, interessante Einblicke in den Islam und dessen Entstehung sowie auch den Zwiespalt, dem viele Muslime ausgesetzt sind, ist es doch für Menschen in einer sehr offenen, säkularen Gesellschaft wie der unsrigen nur schwer einsehbar, warum eine Religion, die so tief ins Privatleben des Einzelnen eingreift und deren heiliges Buch zahlreiche Widersprüche enthält - auch mit diesen befasst sich das Buch -, absolut tabuisiert wird und ein Tabubruch unter Umständen tödliche Folgen hat wie bei Charlie Hebdo. Dies macht Abdel-Samad begreifbar, ebenso wie viele andere Verhaltensweisen und Konflikte. Ob der mit einer Fatwa belegte Autor freilich jene erreicht, die den Islam reformieren könnten, scheint fraglich. Denn diese, das weiß er, kann nur von innen erfolgen.
Dessen ungeachtet ein fesselndes Buch zu einem brisanten Thema!
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Leseprobe bietet die Verlagsseite.