Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Brutalität | |
Gefühl | |
Humor | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Johan Nichol, Professor für Physik, führt ein an und für sich recht beschauliches Leben, bis - und dies ist der Augenblick in dem Walter Grond seinen Roman Old Danube House einsetzen lässt - einiges in das Leben des Professors tritt, das diese Ordnung durcheinander bringt. Zum einen ist da eine Affäre mit einer früheren Geliebten aus marxistischen Jugendjahren auf einem Kongress in Moskau. Und wieder kommt es zu einer Anziehung des Professors durch Katharina beziehungsweise durch den Körper Katharinas. Allerdings arbeitet sie inzwischen für die sogenannte Space Frontier Foundation, eine dubiose amerikanische Stiftung, die den Kongress in Moskau veranstaltete.
Das recht beschauliche Leben Nichols ist die Ehe mit Mariana, einer stilbewussten und esoterikbegeisterten Frau Mitte dreißig, und die Forschung an einem Quantencomputer. In diese Welt bricht neben Katharina der Hinweis des Studenten Hofer auf den Tod des Physikers Nikola Sahli ein. Diese Figur des Nikola Sahli ist die Initialzündung des Buches, denn nur durch sie kommt die Handlung in Bewegung. Den Beiträgen im Internet, durch die der Professor sich weiter über den bosnischen Physiker informiert, lässt sich entnehmen, dass sich der Forscher erstens durch einen Sturz über die Bibliothekstreppe selbst das Leben nahm und zweitens an einem Perpetuum mobile forschte. Und obwohl Nichol die Fehler in den Theorien Sahlis erkennt und um dessen Sektenzugehörigkeit weiß, übt die Figur einen seltsamen utopischen Sog auf ihn aus.
Hofer, der den Hinweis auf Sahli gab, ist ein sogenannter Geek, ein Computerfreak, der den Professor in die Computerwelt, was im Falle Hofers zu einem großen Teil mit der Linux-Religion identisch ist, einführt. Und dann ist da noch Karen, die Freundin Hofers, die sich vor allem um die Integration Nichols in die Jugendkultur kümmert. Nichol erlebt die altruistische Verteidigung eines Züricher Kulturservers gegen die "Pornosau" durch die Geeks um Hofer, er geht mit Hofer und seiner Freundin Karen in von ihm eigentlich verabscheute Kinofilme und erlebt die großen hedonistischen Weltbetäubungsorgien der Jugend. Auch dazu wird ein Gegenmodell entworfen, nämlich in Person Albert Stadlers, der ebenfalls Professor der Physik ist. Stadler ist Mitglied in einer katholischen Verbindung, an deren Treffen Nichol einmal teilnimmt; er ist konservativ und zeitweise sogar besorgt um Nichols Seelenheil. Dennoch deutet sich eine gewisse Konkurrenz an.
Bei seinen Nachforschungen trifft Nichol auf Faruk Karafani, der Sahli kannte und ihn einlädt, nach Sarajewo zu kommen, um die Schwester Sahlis kennen zu lernen und so mehr über die ihn faszinierende Figur zu erfahren. Mariana hingegen, Nichols Frau, begeistert von allem Esoterischen und Metaphysischen, will zu einem Sufi-Kurs für Frauen, nach Ägypten reisen, um zu sich selbst zu finden und Nichol nimmt etwas später das Angebot Karafanis nach Sarajewo zu fahren an - und wird zum ersten Mal mit den Folgen des Krieges konfrontiert:
"Dort, wo das Parlament, die Museen, die Universität und Akademie gestanden waren, ragten zerschossene Hochhäuser empor. Betongerippe hatten überdauert, zerschmolzenes Metall, zersplittertes Glas". Und wie die Häuser sind auch die Menschen versehrt. Eben dort, in dieser zerstörten und versehrten Stadt, lernt Johann Nichol Amra kennen.
Der Roman wirft etliche Gegensätze auf und darin besteht seine Qualität. Zum einen stehen sich zwei Studentenwelten gegenüber. Den Weltverbesserungsversuch, den Johan Nichol durch sein Engagement in einer marxistischen Gruppe unternahm, versucht sein Student Hofer in der erzählten Gegenwart durch seine Mitgliedschaft in der Linux-Gemeinde, mit der die Geeks versuchen unschuldige Rechner vor bösen Crackern zu schützen - das binäre System funktioniert im wahrsten Sinne des Wortes ebenso wie früher.
Ein weiterer deutlicher Gegensatz ist die bürgerliche, situierte (Professoren-)Welt, in der Johan Nichol teilweise und Albert Stadler vollkommen lebt. Vor dieser Folie beginnt der Text Gegenwelten zu konstruieren, eine virtuelle, aus E-mail-Fragmenten konstruierte Welt, eine hedonistische Party-Welt, sowohl in Wien als auch in Sarajewo; deutlich bemerkt man die Schwelle, die Nichol jedes Mal überschreiten muss. Der bürgerlichen Umgebung Österreichs wird die Nachkriegswirklichkeit in Sarajewo gegenübergestellt, eine menschenfeindliche und menschenzerstörende Welt, aber welche Welt ist mit diesem Nebensatz gemeint?
Leider bestätigt Walter Grond das leidige Vorurteil, deutschsprachige Autoren könnten keine Dialoge schreiben, und auch dauert es über 150 Seiten, bis die Handlung des Buches etwas Schwung bekommt, der aber auch recht bald wieder verloren geht. Die Ungeschliffenheit des Stils und die 150 Seiten, bevor der Text in einen Fluss kommt, mögen dazu beigetragen haben, dass die Kritik Grond kaum beachtet hat. Wo der Roman Schwächen in der Sprache und der affektuellen Qualität hat, besitzt er in der inhaltlichen Komplexität und Motivvielfalt, in der Konstruktion von Dichotomien, seine Stärken. Bleibt nur noch die Frage offen, ob die sprachliche Form eines Romans unter seiner inhaltlichen Komplexität leiden muss.