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Auch Störenfriede und Lausbuben brauchen Urlaub – so auch der berüchtigtste unter ihnen, der auf den Namen „Struwwelpeter“ hört. Doch selbst während der Auszeit, die sich der weltbekannte Frechdachs von seinen Streichen nimmt, kann er einfach nicht aus seiner Haut: Jede Etappe seiner Weltreise wird gebrandmarkt von Unsinn und Schabernack. Als er aber in seine Heimatstadt zurückkehrt, versteht er die Welt nicht mehr: Die Kinder verhalten sich wie emotionslose Zombies ohne jeden Hang zu ungehörigem Verhalten und Struwwelpeter selbst wird, kaum dass er einen ersten Streich gespielt hat, von Soldaten unter dem Kommando des Jägers gefangen genommen. Hans-Guck-in-die-Luft und seine Bande können ihn befreien und erklären ihm die Situation: In Struwwelpeters Abwesenheit hat Nikolaus ein totalitäres System errichtet, welches jede Form Unfug drakonisch bestraft. So tunkte der humorlose Diktator drei Rassisten in ein Fass wasserfester schwarzer Tinte und ließ dem Daumenlutscher Konrad seine beiden körpereigenen Fetische abschneiden. Zur absoluten Disziplin verdammt, fallen immer mehr Menschen dem Emotionslosigkeitskoma zum Opfer. Zusammen mit dem Revoluzzer Hans-Guck-in-die-Luft, dem pyromanen Paulinchen und den anderen großen Störenfrieden sagt Struwwelpeter dem rauschebärtigen Despoten und seinem langweiligen Regime den Kampf an.
Kein anderes Werk der Kinderliteratur hat eine vergleichbare Resonanz erfahren und eine heftiger geführte Kontroverse über seine Tauglichkeit als Kinderbuch provoziert wie Heinrich Hoffmanns „Struwwelpeter“. Ursprünglich als Weihnachtsgeschenk für seinen Sohn gedacht, avancierten Hoffmanns Geschichten um unanständige Kinder zu kanonisierten literarischen Begleitern des Nachwuchses, die auch heute nichts von ihrem Charme eingebüßt haben – dies belegen zahlreiche Übersetzungen und Adaptionen des „Struwwelpeters“, vom Altgriechischen bis zum Ruhrdeutschen, vom Hörbuch bis zur DVD. Dass der Schmutzfink und seine Mitstörenfriede nun auch in Mangaform ihr Unwesen treiben dürfen, ist angesichts des Booms, den der japanische Comic seit einigen Jahren im deutschsprachigen Raum erfährt, im Grunde die logische Konsequenz.
Die Weltreise, die der Struwwelpeter zu Beginn des Mangas erlebt, steht zugleich für einen Kreis, der nun geschlossen wird: Hoffmanns (Anti-) Held hat von Deutschland aus seinen Siegeszug quer über den Globus angetreten, nun haucht ihm mit David Füleki ein deutscher Zeichner neues Leben ein. Anders als im Falle seines ebenfalls bei Tokyopop erschienenen Bands „Struwwelpeter – Das große Buch der Störenfriede“, der Hoffmanns Geschichten mit Illustrationen im Manga-Stil neu erzählt, hat Füleki mit „Struwwelpeter – Die Rückkehr“ eine eigenständige Geschichte geschaffen, die vom Kampf des Kindes in uns allen gegen die Langeweile und das Korsett bornierter Disziplinsehnsucht der Erwachsenenwelt erzählt … oder so ähnlich.
Und genau dieses Kind kommt mit dem vorliegenden Manga voll auf seine Kosten, denn David Füleki schafft es perfekt – man möchte schon fast sagen: virtuos –, die Helden von Kindern vieler Generationen im Gewand des japanischen Comics zu neuem Leben zu erwecken. Treffsicher aktualisiert er die unanständigen Kinder des Frankfurter Nervenarztes und verwebt sie mit einer gehörigen Portion Humor, die man sonst nur aus großen japanischen Manga-Reihen wie „One Piece“ oder „Dragon Ball“ kennt. Ungehemmt und unverschämt frech, aber nie anstößig oder unter die Gürtellinie schlagend kommen der Struwwelpeter, das Paulinchen mit dem Feuerzeug und all die anderen Störenfriede daher und fesseln den Leser mit einem wahren Feuerwerk an Gags und kuriosen Einfällen. Wer sich an diesen einfallsreichen Manga heranwagen will, sollte sein Zwerchfell aber zuvor einem Belastungstest unterziehen – für einen Totalschaden haften weder Autor noch Verlag.
Füleki legt mit seinen gerade einmal 24 Jahren bereits eine beneidenswerte Professionalität als Comiczeichner vor: Der Manga erlaubt sich auf der comicästhetischen Ebene keine Schnitzer, Seitenaufbau und Panelanordnung zeugen ebenso vom Können des Zeichners wie der teilweise überbordende, aber niemals verkehrte Einsatz von Lautmalerei. Die Dialoge sprühen vor Witz und die Dynamik kommt nicht ein einziges Mal ins Stocken. Das Tüpfelchen auf dem i ist jedoch der Zeichenstil: Füleki schafft es, jedem von Hoffmanns unartigen Störenfrieden etwas Einmaliges zu verleihen; keiner der Charaktere ist überflüssig, jeder der Frechdachse nimmt den Leser für sich ein. Selbiges gilt im Übrigen auch für die Gegenseite, der grimmige Nikolaus und der humorlose Jäger laden ebenso zu manchem Lacher ein wie das an hochgradiger Pyromanie leidende Paulinchen, der Zappel-Philipp auf seinem permanenten Koffeintrip oder eben der Titelheld, aktualisiert mit einem Afro anstelle der struwweligen Haare, Fliegerbrille und einem ärmellosen Shirt, dessen Aufdruck – „Ärger“ – Programm ist.
Dass Füleki bei der Zeichnung der Charaktere nicht gänzlich ohne die großen japanischen Vorbilder ausgekommen ist, macht die Lektüre deutlich. So erinnert der Struwwelpeter mit seiner Unbeschwertheit und seinem sorglos-naiven Grinsen nicht selten an Monkey D. Ruffy aus „One Piece“ – und nebenbei: Auch der Anführer der Strohutbande trug im Finale des Davy Back Fights einen Afro – und ein Mitglied von Hans-Guck-in-die-Lufts Bande erinnert in puncto Gesicht und Haarschnitt sehr stark an Lorenor Zorro aus Eiichiro Odas Kultmanga. Doch ein Einhakpunkt für negative Kritik ist dies keineswegs, im Gegenteil: Trotz offensichtlicher Inspirationsquellen schafft Füleki etwas Eigenes, der Zeichenstil erleichtert den Einstieg in die Welt des neuen Struwwelpeters. Schade ist nur, dass der Manga seine Entstehung hierzulande zum Anlass nimmt, auf die für den japanischen Comic typische „verkehrte“ Leserichtung zu verzichten.
Wer schon immer wissen wollte, wie Suppen-Kaspars Metabolismus auf den Verzehr der verhassten Speise reagiert, welchen obszönen Neigungen der Nikolaus im Untersuchungszimmer von Komapatienten frönt und wie das ewige Duell zwischen Jäger und Hase ausgeht, der darf sich den Manga unter gar keinen Umständen entgehen lassen. Mit „Struwwelpeter – Die Rückkehr“ katapultiert sich David Füleki in die vorderste Regie deutscher Mangaka und lehrt bieder-humorlosen Hoffmann-Frömmlern das Fürchten. Doch Vorsicht: Die Warnung des Verlags –
100% Schmutz und Schund! – ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Dafür aber mit einem (rotz)frechen Augenzwinkern zu genießen.